Wirtschaftskrise, Korruption, Arbeitslosigkeit – bis vor Kurzem gab es in Portugal genug Gründe, um auszuwandern, etwa in die Schweiz. Doch inzwischen hat der Wind gedreht: Die Zahl jener, die aus der Schweiz nach Portugal zurückkehren, wächst.
Liliana Azevedo zog bereits vor rund 20 Jahren aus der Schweiz nach Portugal, ins Land ihrer Eltern. Nun macht die Soziologin den eigenen Weg zum Forschungsgegenstand: An der Lissabonner Hochschule ISCTE erforscht Liliana Azevedo in Zusammenarbeit mit der Universität Neuenburg die Geschichten von Portugiesinnen und Portugiesen, die aus der Schweiz zurückkehren.
Das Klima des Vertrauens erfasst auch die Portugiesen im Ausland und lässt einige nach Portugal zurückkehren.
Die Gründe für die Rückkehr nach Portugal seien unterschiedlich, sagt Liliana Azevedo. Manche Portugiesinnen und Portugiesen hätten der Schweiz nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014 den Rücken gekehrt. Sie fühlten sich in der Schweiz ausgegrenzt, diskriminiert.
Sich erholende Wirtschaft als Vertrauensfaktor
Noch mehr ins Gewicht falle aber ein anderer Faktor, sagt die Migrationsforscherin: Die portugiesische Wirtschaft erholt sich seit 2015 langsam von der Finanzkrise. Es sei das Resultat jahrelanger harter Sparpolitik und – so Azvedo – auch ein Verdienst der Sozialisten und ihrer Mitte-links-Regierung: «Die wirtschaftliche Lage des Landes hat sich verbessert. Seit wir eine sozialistische Regierung haben, gibt es ein Klima des Vertrauens unter ausländischen Investoren. Das erfasst auch die Portugiesen im Ausland und lässt einige nach Portugal zurückkehren».
In der Schweiz reichte die Rente nicht zum Leben.
Hinzu kommt, dass die geburtenstarke Baby-Boomer-Generation das Rentenalter erreicht. Unter den Portugiesen in der Schweiz sind das meist Arbeitskräfte im Niedriglohn-Sektor: Putzfrauen, Abwarte, Service-Kräfte. Trotz jahrzehntelanger Arbeit reicht ihre niedrige Rente kaum zum Leben in der teuren Schweiz.
María und João Ganhão etwa lebten über 30 Jahre in Lausanne, zogen dort ihre Kinder gross, wurden Schweizer. Nun wohnen die beiden ausserhalb von Lissabon, auf der Halbinsel von Setúbal, in einem Mehrfamilienhaus. Es war ein Kopfentscheid: «In der Schweiz reichte die Rente nicht zum Leben», erzählt João Ganhão. «Die Wohnkosten, die Versicherung, die Steuern – am Ende des Monats bleibt dir nichts. Deshalb zogen wir hierher», so der gelernte Schweisser.
Jeden Monat mussten wir unser Erspartes anzapfen.
Für María Ganhão, die lange als Pflegefachkraft in einem Waadtländer Altersheim arbeitete, war der Umzug nach Portugal kein leichter Entscheid: «Ich wollte nicht hierherkommen. Aber es ging nicht anders. Jeden Monat mussten wir unser Erspartes anzapfen. Nach ein paar Monaten wäre uns das Geld ausgegangen», so die 68-Jährige.
Neubeginn mit Know-how aus der Schweiz
Es sind längst nicht nur Rentnerinnen und Rentner, die nach Portugal zurückkehren: Unter den Portugiesen, die die Schweiz verlassen, wächst der Anteil Erwachsener im Erwerbsalter.
Einer von ihnen ist der Geschäftsmann Nelson Nogueira. Im Stadtzentrum von Lissabon, nahe des berühmten Alfama-Quartiers, gehört ihm eine Weinbar und ein gegenüberliegendes Restaurant. «In der Bar servieren wir Tapas, dazu kann man Wein degustieren, das passt gut», sagt Nelson Nogueira. Es läuft traditionelle Fado-Musik. Er zeigt auf die Wand hinter sich: Dutzende Weinflaschen stehen dort auf einem Holzregal, bis an die Decke.
Aus der Schweiz bringt Nelson Nogueira für sein neues Leben viel Know-how mit: Fast zwei Jahrzehnte arbeitete er im Luxushotel Beau Rivage am Genfersee. Dann wechselte er in den Verkauf, hatte zuletzt eine Kaderstelle bei einem Elektronikhändler in der Romandie. Als die Filiale, in der er arbeitete, schliessen musste, verlor Nelson seine Stelle. Er sah es als Chance, ging zurück nach Portugal, investierte, wurde sein eigener Chef.
Dieses Land war bis vor Kurzem noch die Dritte Welt.
Als Nelson sein Land Mitte der 1980er-Jahre verliess, war Portugal noch das ärmste Land der Europäischen Union, die damals Europäische Gemeinschaft hiess. Seither ist viel geschehen: «Die EU hat viel Geld in Portugal gesteckt», erzählt Nelson Nogueira. «Dieses Land war bis vor Kurzem noch die Dritte Welt – es gab fast keine Autobahnen. Portugal hat sich entwickelt. Aber das viele Geld und der neue Reichtum macht die Menschen auch egoistisch».
Mindestlohn: 740 Franken im Monat
Für Unternehmer wie Nelson sind Arbeitskräfte rar geworden – und teuer. Mit dem Bildungsniveau ist in Portugal auch der Mindestlohn gestiegen. Er liegt inzwischen bei 740 Euro im Monat. Das ist immer noch weniger als die Hälfte des EU-Durchschnitts. Aber wozu in Portugal mit einem Master-Diplom in der Tasche kellnern, wenn es dafür anderswo in der EU mehr als das Doppelte gibt?
Noch immer ziehen viele ins Ausland. Susana Peralta von der Nova School of Business and Economics wundert das nicht. Portugals Wirtschaft gehe es heute zwar deutlich besser, sagt sie. Doch die renommierte Ökonomin hat auch Vorbehalte: So sei die Wirtschaft noch immer stark abhängig vom Tourismus, der anfällig ist für Krisen. Und die Jugendarbeitslosigkeit sei bislang nicht in den Griff zu kriegen.
Es brauche dringend bessere Perspektiven für Junge, sagt Susana Peralta. Nur so könne der Aufschwung der portugiesischen Wirtschaft langfristig auch wirklich nachhaltig sein.
Migration ermöglicht sozialen Aufstieg
Die 23-jährige Beatriz Santos macht sich noch keine Sorgen über die Zukunft. Sie hat eben erst mit dem Studium angefangen, zog dafür vom beschaulichen Pontresina nach Lissabon: «Ich wollte aus meiner Komfortzone raus und mal in einer Stadt leben», sagt die gelernte Kauffrau. In Lissabon kann die schweizerisch-portugiesische Doppelbürgerin nun an einer privaten Hochschule Tourismus studieren, auch ohne Matura. Beatriz Santos hofft, dass sie mit ihrer Mehrsprachigkeit auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt glänzen kann.
Neben vorsichtigem Optimismus und der sich langsam erholenden portugiesischen Wirtschaft ist auch das ein wichtiger Grund, weshalb derzeit immer mehr Portugiesinnen und Portugiesen von der Schweiz zurück nach Portugal ziehen: Migration ermöglicht sozialen Aufstieg.
Dieser Aufstieg ist zunehmend auch in Portugal möglich. Beatriz Santos, die Kauffrau aus Pontresina, kann in Portugal studieren. Der in der Romandie zuletzt arbeitslose Nelson Nogueira ist in Portugal sein eigener Chef. Und María und João Ganhão entgehen in Setúbal der Altersarmut in der Schweiz.