Plötzlich ist von einem Funken Hoffnung die Rede. Hoffnung nach den Strassensperren und Schiessereien in Kosovo, nach der Angst vor einem neuen Krieg Kosovos mit dem Nachbarland Serbien. Hoffnung darauf, dass Kosovo und Serbien ihre jahrzehntelange Feindschaft beenden und offene Fragen klären werden.
Die Hoffnung ruht auf einem neuen Lösungsplan und einer Aussage von Aleksandar Vucic, dem Präsidenten der Republik Serbien. Er sei «offen für den Weg des Kompromisses, wie umstritten er auch sein mag», sagte Vucic am 23. Januar mit Blick auf den Plan, den die EU-Staaten Deutschland und Frankreich eingebracht haben.
Ich bin offen für den Weg des Kompromisses, wie umstritten er auch sein mag.
Doch vieles deutet darauf hin, dass sich die Hoffnung bald wieder zerschlagen wird. Zumal Vucic aus seinem Widerwillen kein Geheimnis macht. Vor dem serbischen Parlament setzt er am Donnerstag zu einer anderthalb-stündigen Tirade gegen den Plan an, «etliche Punkte» seien schlichtweg «inakzeptabel» für Serbien. Und den kosovarischen Regierungschef Albin Kurti, mit dem er sich an den Verhandlungstisch setzen müsste, bezeichnet Vucic als «terroristischen Abschaum».
Die EU, sagt er im serbischen Fernsehen, habe ihn freilich vor die Wahl gestellt: Entweder er unterstütze den Lösungsplan – oder Serbien müsse auf Zuwendungen und Investitionen aus der EU verzichten. Wobei selbstverständlich noch nichts entschieden sei. Das letzte Wort habe das serbische Parlament oder «vielleicht das Volk».
Vucic ist ein Meister des Spagats. Er macht Hoffnungen, um sie wieder zu zerschlagen. Er zündelt, um sich später als Feuerwehrmann auszugeben. Er hat für jedes Publikum die geeigneten Worte parat. Er will sich gut stellen mit der EU, mit den USA, aber auch mit China – und vor allem mit Russland.
Fake News für Putin
«Die Ukraine hat Russland angegriffen!» titelten wenige Tage vor der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine serbische Boulevardzeitungen, die Vucic nahestehen. Es sind Fake News, die Vucics «liebem Freund» Wladimir Putin gefallen dürften. Der russische Präsident versorgt Serbien mit Erdgas zum Freundschaftspreis.
Doch weil auch die EU und die USA gut auf Serbien zu sprechen sein sollen, schlägt Vucic im amerikanischen Magazin «Bloomberg» ganz andere Töne an: «Für uns ist die Krim ukrainisch, der Donbass ist ukrainisch – und das wird auch so bleiben!»
Vom Kriegsreporter zum mächtigsten Mann Serbiens
Flirts mit dem Westen und die Liebe zu Russland begleiten Vucics politische Karriere. Er kommt 1970 in der serbischen Teilrepublik des Vielvölkerstaats Jugoslawien zur Welt. Kurz nach seinem 21. Geburtstag beginnt Jugoslawien auseinanderzubrechen, begleitet von blutigen Kriegen.
Vucic heuert als Kriegsreporter beim serbischen Propagandasender «Channel S» an, gilt als «gelehriger Schüler» des rechtsextremen serbischen Politikers Vojislav Seselj, der später wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird.
Der serbische Präsident Slobodan Milosevic macht Vucic 1998 zum Propagandaminister. Während Milosevics Truppen in der Provinz Kosovo auf albanisch-stämmige Menschen schiessen, verbietet Vucic an der Heimatfront kritische Zeitungen.
Dabei zählt Serbien auf die Unterstützung Russlands – das aber die Niederlage gegen die albanisch-stämmige UÇK und die Nato im Kosovo-Krieg nicht abwenden kann.
Milosevic tritt ab und landet, wie Seselj, vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Er stirbt als Häftling noch vor der Urteilsverkündung.
Vucic arbeitet derweil an einer Image-Korrektur und steigt Schritt für Schritt zum mächtigsten Mann Serbiens auf, seit 2017 ist er Staatspräsident. Er distanziert sich öffentlich von seiner Vergangenheit und bemüht sich um gute Wirtschaftsbeziehungen in alle Himmelsrichtungen.
Die Politik der vier Stühle
Serbien wird Teil von Chinas Neuer Seidenstrasse, bekommt von China Kredite für den Ausbau des Schienen- und Strassennetzes. Wichtigste Handelspartner bleiben aber europäische Länder wie Deutschland, weshalb Vucic den Beitritt zur EU anstrebt. Zumal Serbien wirtschaftlich weit hinter Slowenien und Kroatien liegt, die als ehemalige jugoslawische Teilrepubliken bereits in die EU aufgenommen worden sind.
Dafür erwartet die EU freilich die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos, das sich nach dem Kosovo-Krieg von Serbien losgesagt hat. Doch die Niederlage bleibt für Vucics Wählerinnen und Wähler ein Trauma – mit einer Anerkennung würde er sie vergraulen.
Vucic macht stattdessen den Spagat: ein bisschen Kompromissbereitschaft signalisieren, dann wieder zurückrudern und die kosovarische Führung beschimpfen – vor allem Ministerpräsident Albin Kurti.
Im Streit um die Verwendung serbischer Nummernschilder in Kosovo lässt Vucic im Dezember wieder einmal Truppen in Richtung kosovarische Grenze fahren. Er schürt damit Ängste vor einem neuen Balkan-Krieg. Den Vorwurf, er sei ein «kleiner Putin», kontert Vucic mit Verweis auf seine Körpergrösse: Er ist fast zwei Meter gross – sein russischer Amtskollege misst dagegen kaum mehr als 170 Zentimeter. Schliesslich zieht Vucic die Truppen wieder ab und präsentiert sich dem Westen als besonnener Brandlöscher.
Doch auch für einen Mann von Vucics Grösse ist es schwieriger geworden, den Überblick zu wahren – und jeden Spagat zu schaffen. Zwischen den USA und der EU auf der einen sowie Russland und Chinas auf der anderen Seite muss Serbien seinen Platz immer wieder neu suchen. Zumal der ganze Balkan seit Beginn der russischen Grossoffensive unter Beobachtung steht.
Lang lebe Serbien! Aufgeben ist keine Option.
Manche Politikerinnen und Politiker im Westen sehen gerade darin eine Chance. Sie hoffen, dass die weltpolitische Lage, dass der politische Druck auf Serbien eine De-facto-Anerkennung Kosovos in den Bereich des Möglichen gerückt hat. Weil sich Serbien den Widerstand gegen die EU und die USA nicht länger leisten könne.
Mindestens so gut möglich scheint aber, dass Vucic westliche Hoffnungen einmal mehr zerschlagen wird. Zumal er mit seiner Spagat-Strategie innerhalb Serbiens zur unangefochtenen Nummer 1 aufgestiegen ist. Und keinen Willen erkennen lässt, an seiner bewährten Strategie etwas zu ändern.
Für diese Vorhersage spricht Vucics neuliche Rede zum deutsch-französischen Kosovo-Plan. Nach Ausführungen über die eigene Kompromissbereitschaft, vor allem aber darüber, dass Serbien stets zu Unrecht beschuldigt werde, schliesst Vucic mit einer unmissverständlichen Ansage: «Serbien wird gewinnen!» Und meint damit wohl auch: Den Spagat wird der serbische Präsident wieder einmal hinbekommen.