SRF News: Bei der Vorwahl der Konservativen gingen zwei von drei Stimmen an Fillon, nur ein Drittel ging an Juppé: Wie erklären Sie sich dieses eindeutige Resultat?
Charles Liebherr: Es überrascht nur auf den ersten Blick. Schon im ersten Wahlgang hatten sich die Abstimmenden für einen klaren Rechtskurs ausgesprochen, was sich in der Stichwahl nun bestätigte. Die Wählerinnen und Wähler stimmten mit dem Kopf für ein bürgerlich-liberales Programm und mit dem Bauch für gesellschaftlich konservativ-katholische Werte. Das Resultat vom Sonntag ist ein Abbild der momentanen Kräfteverhältnisse in der französischen Politik, wie sie sich in den vergangenen drei Jahren bei Europa-, Regional- oder Gemeindewahlen gezeigt haben.
Die Vorwahl der Konservativen hat gezeigt, dass auch die Rechte in zwei Lager gespalten ist. Werden sie für die Wahlen im nächsten Frühjahr wieder zusammenfinden?
Das fällt den Berufspolitikern im rechten Lager sicher nicht schwer – sie wollen die Sozialisten aus der Regierung vertreiben und haben dazu auch gute Chancen. Anders sieht es bei ihren Wählern aus: Ein konstanter Teil von ihnen bevorzugt einen Mitte-Kurs mit liberalen Reformen in der Wirtschaft und einem sozialen Ausgleich. Das haben die Vorwahlen gezeigt. Dieses Wählersegment hat Fillon bislang nicht erreicht. Das schafft Raum für einen Kandidaten der Mitte. Deshalb ist nicht auszuschliessen, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Wochen neue Köpfe empfehlen werden.
Marine Le Pen wird neue Akzente setzen müssen.
Die Sozialisten werden ihre internen Vorwahlen im Januar abhalten. Wie wirkt sich Fillons Sieg für sie aus?
Sie haben mit dem bürgerlich-konservativen Fillon eine gute Zielscheibe erhalten. Es würde die Sache einfacher machen, die letzten fünf Jahre sozialistischer Politik zu verteidigen. Ich sage «würde», weil das Problem der Linken im personellen Bereich liegt: Die grosse Frage ist, wer für das Linke Lager hinstehen soll. Präsident François Hollande ist derart unpopulär, dass ihn fast alle – auch in der eigenen Partei – in die Verbannung schicken wollen. Die Sozialisten sind derart zersplittert, dass sie nicht mehr gehört werden, und schon gar nicht mehr gewinnen können.
Ganz rechts tritt Marine Le Pen bei der Präsidentenwahl für den Front National an. Schmälert es ihre Wahlchancen, dass Fillon in einigen Fragen nah an ihren eigenen Positionen steht?
Ja. Für den Front National ist es sicher das schlechtest mögliche Szenario, dass die Konservativen mit Fillon ins Rennen gehen. Dieser wird Le Pen sicher Stimmen streitig machen können, vor allem im Süden Frankreichs. Dort sind die Frontisten – anders als in Nordfrankreich – stark bei den konservativ-katholischen Wählern verankert. Und diese erhalten mit Fillon nun eine Alternative zu Le Pen. Sie wird deshalb in ihrem Wahlprogramm neue Akzente setzen müssen. Dies betrifft etwa soziale Themen, bei denen Le Pen in der Vergangenheit aber nicht sehr überzeugend wirkte.
Was bedeutet der Sieg Fillons bei den Konservativen generell für die Ausgangslage der Präsidentenwahl im April?
Fillon hat beste Chancen, in den zweiten Wahlgang vorzustossen. Trotzdem: Gewählt ist er sicher noch nicht. Durch seine Nomination ist die Ausgangslage für die Präsidentenwahl wohl insgesamt etwas offener geworden. Sollte Mitte-Rechts und Mitte-Links je einen profilierten und unbestrittenen Kandidaten hervorbringen, könnte die Wahl doch noch ein bisschen spannend werden. Derzeit sieht es allerdings noch nicht danach aus.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.