Jair Bolsonaro ist einer, der fast nur politisch Unkorrektes von sich gibt. Konsequent hetzt gegen Frauen, Schwule, Schwarze oder Indigene. Letztes Jahr sagte er in Rio über die Nachfahren schwarzer Sklaven: «Die machen gar nichts. Sie sind so faul, dass sie sich nicht einmal vermehren.»
In einem Zeitschrifteninterview präzisierte er zum Thema Homosexualität: «Ich könnte einen schwulen Sohn nicht lieben. Ich ziehe es vor, er würde bei einem Unfall ums Leben kommen.» Legendär ist auch ein Satz über die Frauen. Einer linken Abgeordneten sagte Bolsonaro, er würde sie nie vergewaltigen: «Sie ist zu hässlich dafür und verdient es nicht.»
Der drahtige Ex-Offizier mit vollem Haar bezeichnet sich selbst als die brasilianische Version von Donald Trump. Allerdings muss man sich fragen, ob da nicht eher ein tropischer Pinochet im Anmarsch ist. Bolsonaro belegt unter den Präsidentschaftskandidaten den Spitzenplatz. 31 Prozent der Stimmen wird er in der ersten Runde holen – das besagen die neusten Meinungsumfragen.
Ein tief gespaltenes Land
Zehn Prozent Vorsprung auf den Kandidaten der linken Arbeiterpartei Fernando Haddad zeichnen sich ab, dem Protegé des wegen Korruption im Gefängnis sitzenden Lula da Silva. Brasilien ist polarisiert; die Anwärter des politischen Zentrums bleiben alle chancenlos. Möglicherweise entscheiden sie mit ihren Wahlempfehlungen aber die wohl unausweichliche Stichwahl.
Bolsonaro macht vor allem in den sozialen Netzwerken Wahlkampf, Millionen folgen ihm dort. Öffentliche Auftritte oder solche im Fernsehen gibt es nicht mehr, seit ein Geistesgestörter Anfang September eine Messerattacke auf Bolsonaro verübte und den Kandidaten dabei lebensgefährlich verletzte. Inzwischen hat Bolsonaro das Spital verlassen.
Zulauf aus allen sozialen Schichten
Das Lieblingsthema des Ex-Hauptmanns ist die öffentliche Sicherheit. Er rennt damit offene Türen ein in Brasilien – allein letztes Jahr wurden 65'000 Morde verübt. Gegen die Gewalt gebe es nur ein Mittel, und das heisse staatliche Gegengewalt, sagt Bolsonaro. Falls er Präsident werde, so bekomme die Polizei die Lizenz zum hemmungslosen Töten.
Wenn ein Polizeibeamter zehn, zwanzig oder dreissig Banditen über den Haufen schiesst, so verdient er eine Auszeichnung und nicht einen Prozess.
Noch vor dem Angriff, im August gab er im Fernsehen den Satz von sich: «Wenn ein Polizeibeamter zehn, zwanzig oder dreissig Banditen über den Haufen schiesst, so verdient er eine Auszeichnung und nicht einen Prozess.»
Bolsonaro hat Zulauf aus den untersten sozialen Schichten Brasiliens – also von den Menschen, die am stärksten unter der Kriminalität des organisierten Verbrechens leiden. Mit einem ultraliberalen Wirtschaftsprogramm ist der Wahlfavorit auch in der Mittel- und Oberschicht salonfähig geworden.
Mit Ausnahme der strategischen Staatsbanken werde er die 150 Staatsbetriebe allesamt privatisieren, sagte Bolsonaro noch vom Krankenbett aus. Mit den Einnahmen wolle er die Staatsausgaben senken und damit das Budgetdefizit, das Brasilien zu laufender Neuverschuldung zwingt. Unter den Staatsbetrieben sind Konzerne wie Petrobras; der Energieriese ist die grösste Unternehmung in Lateinamerika.
Kaum Rückhalt im Parlament
Das Finanzbürgertum verspricht sich gerade von dieser Privatisierung den schnellen Reibach, denn vor der Küste lagern riesige Erdölvorkommen. Auch Bolsonaros Vorschlag von einer allgemeinen Steuersenkung kommt gut an bei den Reichen.
Als Präsident stünde Bolsonaro vor der Aufgabe, ohne eigene Mehrheit zu regieren. Von den über 500 Abgeordnetensitzen wird seine kleine Partei wahrscheinlich gerade mal sieben Mandate holen. Den Kongress zu schliessen und aufs Militär gestützt mit Dekreten zu regieren, das dürfte für Bolsonaro schnell mehr Notwendigkeit sein als Verlockung.