Ein Knie am Boden an den Olympischen Spielen in Tokio werde sanktioniert, sagte IOC-Präsident Thomas Bach noch vor einem guten Jahr. Nun sind Fussballspielerinnen an den Olympischen Spielen niedergekniet und nicht sanktioniert worden. Das IOC hat in letzter Minute einen Eklat verhindert: Es veröffentlichte kurz vor den Spielen neue Richtlinien, die das langjährige Verbot politischer Proteste aufweichen.
Von einer Kehrtwende will das IOC aber nicht sprechen, wie die Vorsteherin der Athletenkommission des IOC, Kirsty Coventry, diese Woche an einer Medienkonferenz sagte. «Wir kommen lediglich dem Wunsch der Athletinnen und Athleten nach, vor Wettkampfbeginn eine Meinung kundtun zu dürfen.»
Die Athletinnen und Athleten dürfen neu auch mit Medien über ihre Ansichten sprechen, diese online posten und bei Medienkonferenzen Kleidung mit Protest-Slogans tragen.
Professor Patrick Clastres ist Vorsteher des Forschungszentrums für Olympismus und Globalisierung am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität Lausanne. Für ihn ist klar, das IOC konnte gar nicht anders, als dem Druck nachzugeben.
Die Athletinnen und Athleten hätten heutzutage mehr Gewicht. Nicht zuletzt über Social Media seien sie international vernetzt und Bewegungen wie «Black Lives Matter» oder LGBTQ kämpften international gegen Diskriminierung wegen der Hautfarbe oder sexuellen Orientierung.
Das IOC ist unter Druck grosser sportlicher Mächte und Diktaturen wie Russland, China oder den Golfstaaten, die Menschenrechte regelmässig als Erfindung westlicher Demokratien abtun.
Bereits vor zwei Jahren hatte Clastres an der Uni Lausanne im Auftrag des IOC eine neue Version der Olympischen Charta der Verhaltensregeln ausgearbeitet; gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit den jetzigen Zugeständnissen setze das IOC einen Teil davon um. Doch dies reiche nicht, sagt er, solange sich das IOC nicht konsequent für Menschenrechte einsetze.
Das IOC dürfe nicht den Diskurs der Diktatoren übernehmen und Menschenrechte per se als politische Statements ansehen. Wohl wissend, dass darin eine grosse Herausforderung liegt: «Das IOC ist unter Druck einflussreicher sportlicher Mächte und Diktaturen wie Russland, China oder den Golfstaaten, die Menschenrechte regelmässig als Erfindung westlicher Demokratien abtun. Es muss aber gelingen ein universelles, olympisches Modell zu entwickeln.»
In seiner Geschichte musste sich das IOC immer wieder mit der heiklen Frage politischer Proteste auseinandersetzen.
Clastres kritisiert, dass sich das IOC auch schwer damit tue, die Vergangenheit aufzuarbeiten: «Das IOC würde gut daran tun, Tommie Smith und John Carlos einen Platz im Olympischen Museum zu geben. Doch ihre Geschichte wird totgeschwiegen und auch im offiziellen Olympia-Magazin findet man keine Zeile davon.»
Einiges hat sich seit 1968 zwar geändert. Die britischen Fussballerinnen werden nicht mehr sanktioniert, weil sie mit ihrer Geste gegen Rassismus protestiert haben. Doch Bilder von ihnen, wie sie als erste olympische Sportlerinnen niedergekniet sind, wird es wohl ebenso wenig zu sehen geben im Olympischen Museum. Jedenfalls soll das Team, das sich an den Spielen in Tokio um sämtliche offiziellen Social-Media-Kanäle des IOC kümmert, angewiesen worden sein, keine Bilder davon zu veröffentlichen. Das heisst: Von offizieller Seite wird die Geste zwar toleriert, aber zensuriert.