- Ungarns Regierung will Universitäten, Schlösser, Ackerland und Energiekonzerne in Stiftungen überführen. Sie nennt sie «Stiftungen von öffentlichem Interesse».
- Die Posten in der Stiftungsleitung werden mit Verbündeten der Fidesz-Partei besetzt, die auch die Regierung dominiert.
- Kritiker werfen der Regierung vor, sich auf diese Weise die Macht sichern zu wollen.
Wann immer es ihre Zeit zuliess und sie Erholung brauchte, liess sich die österreichische Kaiserin und ungarische Königin Sissi zum Schloss Gödöllo fahren. Für gewöhnlich verbrachte sie mehrere Wochen im Frühjahr und Herbst in dem rund 25 Kilometer von Budapest entfernten Anwesen. Sissis Lieblingsschloss ist heute ein begehrtes Ausflugsziel für Touristinnen und Touristen. Jetzt verschenkt die Regierung das Schloss an eine private Stiftung.
Auch Ungarns führende Universität in Wirtschaftsstudien, die Corvinus-Universtität in Budapest, ist keine öffentliche Einrichtung mehr. Im Juli 2019 hat die Regierung die Universität an eine Stiftung übertragen. Statt der Rektor entscheidet nun eine Stiftung, wer hier lehren darf oder wie das Angebot aussieht. Und sie hat auch die Hoheit über das Budget.
Insgesamt 32 Stiftungen werden künftig staatliche Institutionen übernehmen. Universitäten, Kliniken, Energie- und Pharmakonzerne, Häfen, Schlösser, Museen, Theater – sie alle kommen in die Hände von Stiftungen. Die Mitglieder der Stiftungen bestimmt die Regierung. Ein Stiftungsamt hat man auf Lebenszeit. Auffällig viele Stiftungsmitglieder haben – wie ungarische Medien berichten – Ministerposten in der gegenwärtigen von der Partei Fidesz dominierten Regierung.
Am weitesten fortgeschritten ist die Umwandlung von Staatsbesitz in private Stiftungen in der Hochschulbildung. Die Hälfte der 21 staatlichen Universitäten des Landes wird mittlerweile von privaten Stiftungen betrieben. Der Oppositionspolitiker und Sozialdemokrat Lázló Szakács wirft der Regierung vor, sich auf ein Weiterleben nach den Parlamentswahlen vom nächsten Jahr vorzubereiten. «Offensichtlich schafft sie sich hier eine Überlebens-Ausrüstung für den Fall, dass sie die Wahlen verliert.»
Der ungarische Staat ist mit milliardenschweren Aktienpaketen an Grosskonzernen beteiligt, etwa am Mineralölkonzern MOL oder am Pharmakonzern Richter. Diese Aktienpakete werden jetzt an die privaten Stiftungen verschenkt.
«Unsinnig und rechtswidrig»
Miklós Liget von der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International bezeichnet dieses Vorgehen als unsinnig und rechtswidrig. Und er erinnert daran, dass das Staatsvermögen durch diese gegenwärtige Praxis für immer verloren ist. «Eine nächste Regierung wird nicht in der Lage sein, diese Staatsvermögen jemals wieder zurückzuholen aus den Taschen dieser Stiftungen.»
SRF hat Ungarns Regierung und die Regierungspartei um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Beide haben sich nicht äussern wollen.