- Russische und westliche Geheimdienste beschuldigen sich gegenseitig der Desinformation.
- Die osteuropäischen Länder wähnen sich von russischer Propaganda bedroht.
- Die tschechische Regierung hat reagiert und eine Stelle zur Bekämpfung von Fake News eingerichtet – denn im Herbst stehen Wahlen an.
Die Weltkarten an den Wänden, die Nato-Auszeichnungen und die Fotos von Handshakes mit hohen Militärs erinnern an die Zeiten des Kalten Krieges. Doch Ivana Smolenova studiert in ihrem Büro des Prague Security Studies Institute neue Webseiten: «Etwa www.aeronet.cz, eine der wichtigsten Seiten in tschechischer Sprache, die pro-russische Desinformation betreiben.»
Es geht oft um die Ukraine auf Aeronet, so etwa um das renommierte tschechische Hilfswerk «Člověk v tísni», Menschen in Not. Es habe in der umkämpften Ostukraine Spionage betrieben, heisst es, und sei darum ausgewiesen worden.
Auch Syrien ist oft Thema. Etwa im Interview mit Baschar al-Asad, der nahelegt, die USA würden mit dem IS zusammenarbeiten. Oder die EU: «Das müssen Sie sehen», heisst es neben einem Videoclip: «NGOs und Frontex schmuggeln zusammen Tausende Migranten nach Europa, damit sie EU-Integrationsgelder einstreichen können.»
Unklare Urheber, klare Botschaften
Wer Aeronet finanziert, ist so wenig bekannt, wie wer es macht. Manche Artikel sind anonym, manche zeichnet Chefredaktor VK. Aber niemand weiss, wer dieser VK ist.
Aeronet gibt auf seinen Seiten eine Geschäftsadresse im holländischen Eindhoven an. Tschechische Journalisten haben dort keine Spur des Unternehmens gefunden.
Ivana Smolenova übersetzt eine weitere Schlagzeile: «Die tschechische Regierung arbeitet an einem Gesetz, um Leute zu Hause auszuschnüffeln.» Der Artikel vergleiche die Regierung mit der deutschen Gestapo. «Sehr emotional, sehr manipulativ», befindet Smolenova.
Sie pflanzen falsche Nachrichten und Verschwörungstheorien in unsere Gesellschaften ein
Etwa hundert solcher Webseiten gibt es inzwischen allein in Tschechien und der Slowakei. Viele sind klein, einige gross und professionell. Eine seriöse Umfrage ergab kürzlich, dass ein Viertel aller Tschechen und sogar ein Drittel aller jungen Slowaken diesen Seiten mehr vertraut als den herkömmlichen, obwohl ihre Berichterstattung offensichtlich einseitig und manipulativ ist.
Mehr als blosse Propaganda
Von Propaganda mag Ivana Smolenova aber nicht sprechen, das wäre verharmlosend, sagt sie: «Propaganda machen ja alle. Alle befördern ein gutes Bild von sich selbst, auch die USA, auch die Schweiz.» Doch die russischen Medien gingen weiter: «Sie pflanzen falsche Nachrichten und Verschwörungstheorien in unsere Gesellschaften ein.»
Darum sind sie auch schwer zu widerlegen: «Auch wer die Verschwörungstheorien widerlegt, trägt zu ihrer Verbreitung bei, und ein gewisses Misstrauen bleibt hängen», sagt Smolenova.
Wahre Lügen
Verunsicherung ist das oberste Ziel dieser Medien. Sie säen Misstrauen gegenüber der EU, der Nato, dem Multikulturalismus, den demokratischen Institutionen, gegenüber dem Mainstream.
Applaus für Putin gibt es, wenn überhaupt, nur leise. Smolenova vom Prague Security Studies Institute vermutet dennoch, dass die russische Regierung manche dieser Webseiten fördert: «Die meisten wurden in den letzten fünf Jahren gegründet. Und vor zwei Jahren, nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine, wurden sie plötzlich alle superaktiv. Warum das?» Weil sie vom Kreml gefördert werden, so eine Erklärung.
Wenn Wahrheit und Fiktion verschwimmen
Der britische Publizist Peter Pomerantsev kennt die russischen Medien und die russische Medienpolitik von innen. Er hat fast zehn Jahre in Moskau als Fernsehproduzent gearbeitet. Auch er hält es für möglich, dass Russland Webseiten in EU-Ländern insgeheim fördert.
«Aber es ist schwer zu sagen, ob die Macher aus Überzeugung russophil sind, oder ob sie von Moskau bezahlt werden – und ob das überhaupt wichtig ist», sagt er.
Denn wer das Phänomen der alternativen Medien weiterhin in den Denkmustern des Kalten Krieges deute, begehe einen Fehler: «Wenn es nur Russland wäre, würden wir das aushalten. Doch das Problem ist viel schlimmer und tiefer. Russland ist nur Teil eines grossen Trends.»
Nostalgie ist sehr aktuell. Sie zeigt sich bei Trump, bei Putin, in Polen bei Kaczynski, im Brexit
Auf der ganzen Welt zweifeln Wähler und Politiker derzeit an der Globalisierung und am Modell der liberalen Demokratie. Russland schürt diese Zweifel. Doch das geht nur, weil es ein grosses Publikum dafür gibt – besonders in Osteuropa, wo erstaunlich viele Leute denken, dass es ihnen im Kommunismus und unter sowjetischer Herrschaft besser ging als heute in der EU.
Grassierende Demokratiemüdigkeit
«Nostalgie ist sehr aktuell. Sie zeigt sich bei Trump, bei Putin, in Polen bei Kaczynski, im Brexit», sagt Pomerantsev. Denn all diese Politiker und Medien, die sich um die Wahrheit foutieren, offerieren den Wählern nicht Lüge statt Wahrheit, sondern Nostalgie statt Wahrheit.
Ein Angebot wie zugeschnitten auf Osteuropa, wo viele, und längst nicht nur alte Menschen ein Vierteljahrhundert nach der Wende enttäuscht sind vom Erreichten. Diese Gefühlslage bewirtschaften die sich alternativ nennenden Medien. Längst werden ihre Geschichten häufiger geteilt in den sozialen Medien als die der Mainstreammedien.
Ihr Erfolg ist keine Neuauflage des Kalten Krieges. Sondern eher eine Warnung, dass ein Vierteljahrhundert später vielen Leuten der liberale, demokratische Kapitalismus und die nie zu Ende gehende Aufholjagd mit dem Westen verleidet sind.