Noch immer ist ungeklärt, wer für den Bombenanschlag auf den russischen Militärblogger Wladlen Tatarski in St. Petersburg am Sonntag verantwortlich ist. Wer Tatarski war und welche Absichten die russischen Militärblogger verfolgen, weiss der Russlandexperte Fabian Burkhardt.
SRF News: Inwiefern steht der ermordete Wladlen Tatarski stellvertretend für die grosse Szene der russischen Kriegsblogger?
Fabian Burkhardt: Es gibt zwei Lager, die aber beide wollen, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine gewinnt: Jene, die vor allem Propaganda verbreiten – zu diesen gehörte Tatarski. Das andere Lager von Kriegsbloggern versucht, die Truppenbewegungen und den Kriegsverlauf mitzuverfolgen und zu analysieren. Letztere sagen, es bringe die Russen dem Sieg nicht näher, wenn nur propagandistisch gelogen werde. Man müsse auch schauen, was auf dem Kriegsschauplatz passiere.
Was sind die Kriegsblogger für Leute, wo kommen sie her?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche sind in der Ukraine geboren, einige haben einen kriminellen Hintergrund, manche waren schon vorher Blogger und sind mit dem Krieg gewachsen. Einige haben früher für russische Staatsmedien als Kriegspropagandisten gearbeitet.
Was sind ihre Beweggründe?
Es geht vor allem um Propaganda und die Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs. Es gibt aber auch wirtschaftliche Interessen. Zudem werden manche Blogger von russischen Elite-Gruppen als Werkzeug benutzt – etwa von Jewgeni Prigoschin oder vom Propaganda-Kanal RT.
Zahlreiche russische Figuren und Gruppen versuchen, die Militärblogger zu kontrollieren und zu beeinflussen.
Die russische Präsidialverwaltung und das Verteidigungsministerium versuchen, manche auch mit bezahlten Posts unter Kontrolle zu bringen, wenn sie das Militär zu stark kritisieren. Der Geheimdienst FSB ist aktiv, ebenso der Militärkonzern Rostec. Zahlreiche russische Figuren und Gruppen versuchen also, diese «neue Öffentlichkeit» der Militärblogger zu kontrollieren und zu beeinflussen.
Welchen Einfluss haben die Militärblogger konkret?
Eigentlich liefern sie viele wichtige Informationen, doch in Russland ist keine Unabhängigkeit gewünscht – egal ob die Personen total loyal oder oppositionell sind. Seit dem russischen Rückzug aus Charkiw hat der Kreml denn auch versucht, die Kriegsblogger unter Kontrolle zu bringen.
Putin trifft sich regelmässig mit den Militärbloggern.
So trifft sich Putin regelmässig mit ihnen, sie werden auch in Gremien wie den russischen Menschenrechtsrat eingeladen. Mit staatlichen Preisen und Orden wird zudem versucht, die Leute loyal zu halten.
Wer hatte denn am meisten Interesse daran, Tatarski ermorden zu lassen?
Die offizielle Version lautet, es handle sich um einen terroristischen Anschlag, geplant vom ukrainischen Geheimdienst zusammen mit Alexei Nawalnys Antikorruptionsstiftung – das tönt allerdings sehr unwahrscheinlich. Doch es deutet darauf hin, worauf der Kreml hinaus will: Es geht um Terror, entsprechend soll die Terrorgesetzgebung angepasst werden. Ausserdem soll jede Kooperation mit Organisationen, die als terroristisch eingestuft werden, viel härter bestraft werden. Auch könnte Nawalnys Organisation bald als terroristisch eingestuft werden.
Es könnte sich um einen Konflikt unter jenen Eliten handeln, die auf die Militärblogger Einfluss nehmen wollen.
Eine zweite These lautet, dass es sich um einen Konflikt unter jenen Eliten handelt, die versuchen, auf die Militärblogger Einfluss zu nehmen, um ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Mit der Ermordung Tatarskis, der mit Prigoschin kooperiert hatte, könnte also ein Konflikt an die Oberfläche getreten sein, den man bisher nicht wahrgenommen hat. Man wird sehen müssen, wie es jetzt weitergeht.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.