In Hongkong gehen derzeit die Wogen hoch. Die Regierung plant, in Zukunft geflohene Kriminelle auch ans chinesische Festland auszuliefern. Bisher hatte Hongkong mit China kein solches Abkommen. Die Doktrin «Ein Land, zwei Systeme» garantiert der Sonderverwaltungszone ein separates Rechtssystem. Doch nun fürchten sich die Menschen, dass sie in Zukunft auch in Hongkong nicht mehr sicher sind vor der chinesischen Justiz.
Mörder kann nicht ausgeliefert werden
Angefangen hat alles mit einem brutalen Mord: Ein Mann aus Hongkong soll seine schwangere Freundin umgebracht haben – nicht in Hongkong, sondern während einer Ferienreise in Taiwan. Danach soll er zurück nach Hongkong geflohen sein. Hongkong kann den Mann aber nicht nach Taiwan zurückschicken, weil die beiden Regierungen kein entsprechendes Abkommen haben.
Um das Schlupfloch zu schliessen, will Hongkongs Parlament ein Gesetz verabschieden, das es den Hongkonger Behörden erlaubt, Menschen auch in jene Staaten und Territorien auszuliefern, mit denen es kein Auslieferungsabkommen hat. Die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam macht sich seit Monaten für die neuen Regelungen stark.
Müssen uns fragen, ob wir tolerieren wollen, ein sicherer Hafen für Kriminelle aus der ganzen Welt zu werden.
Im Zuge dieser Bemühungen plant Hongkongs Regierung, auch von den chinesischen Behörden gesuchte Personen an China zu übergeben. Dazu gehören geflohene Beamte und Geschäftsleute, die in China polizeilich gesucht werden – etwa wegen Korruption.
«Hongkonger haben Angst vor chinesischer Justiz»
Deshalb kämpft die Abgeordnete Claudia Mo gegen das neue Gesetz. Mo gehört zum Demokratischen Lager im Hongkonger Stadtparlament. «Als Hongkong 1997 an China zurückgegeben wurde, haben wir mit China kein Auslieferungsabkommen geschlossen. Der Grund: Die Hongkonger haben Angst vor der chinesischen Justiz.»
Dass Peking nun denke, es sei an der Zeit, dass chinesische Gesetze auch in Hongkong gelten, sei ein Bruch des Versprechens von «Ein Land – Zwei Systeme».
Die Hongkonger Regierung versucht, die Kritiker zu beschwichtigen. Sie sagt, dass das neue Gesetz nur bei schweren Verbrechen angewandt würde. So wird über die Implikationen des Gesetzes seit Wochen gestritten. Kritiker befürchten, dass die chinesischen Behörden es für politische Zwecke missbrauchen könnten.
Chinesischer Zugriff auf Dissidenten und NGO?
«Wir wissen alle, dass in China die Justiz ein Instrument der Kommunistischen Partei ist», sagt der bekannte Demokratie-Aktivist Albert Ho. Die Justizbehörden handelten im Sinne der Partei. «Politische Dissidenten, Aktivisten – sie alle haben Grund zur Angst. Übrigens auch Hongkonger Geschäftsleute, die in China tätig sind.»
Auch Nicht-Regierungsorganisationen in Hongkong sind alarmiert. Anders als auf dem chinesischen Festland, können sie sich in Hongkong auch mit politisch heiklen Themen wie Menschenrechten befassen.
«Das Gesetz mag zu Beginn nicht speziell gegen Nichtregierungsorganisationen gerichtet sein», sagt die Hongkonger Menschenrechtsaktivistin Kit Chan. China interessiere sich derzeit eher für korrupte Beamte und Dissidenten. «Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis auch NGO betroffen sind.»