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Proteste im Osten Russlands Anklage gegen einen, gemeint sind alle

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«Weg mit dem Zar!»
aus Echo der Zeit vom 11.07.2020. Bild: Keystone
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Offiziell ist Gouverneur Sergei Furgal angeklagt wegen mutmasslichen Auftragsmorden vor rund 15 Jahren. Doch der Prozess gegen den 50-Jährigen Gouverneur und Geschäftsmann ist nicht etwa ein Zeichen für aufflammende Rechtsstaatlichkeit in Russland – vielmehr scheint der Prozess ein Warnsignal zu sein an die russischen Regionen fern von Moskau.

Das ist auch den mehreren zehntausend Menschen in Chabarowsk klar, die zum zweiten Mal nacheinander an einem Samstag gegen die Festnahme des Gouverneurs demonstriert haben. So forderten die Demonstranten in ihren Sprechchören einen fairen Prozess gegen das Oberhaupt ihrer Region. Wohl wissend, dass Furgal durchaus in dubiose Machenschaften verwickelt gewesen sein könnte, ihm aber aus anderen Gründen der Prozess gemacht wird – ausgerechnet jetzt.

Gefahr für den Kreml

Denn in knapp zwei Monaten finden in mehreren Regionen Russlands Gouverneurs- und Parlamentswahlen statt. Die Partei, der Sergei Furgal angehört, die nationalistische «LDPR», macht der Partei «Einiges Russland» von Präsident Wladimir Putin Konkurrenz wie keine andere.

In vielen Fällen war der Sieg der «LDPR» nicht Verdienst ihrer Kandidaten, sondern vielmehr eine Quittung an die Regierungspartei «Einiges Russland». Deren Image ist dermassen schlecht, dass nicht einmal Wladimir Putin unter dem Parteilogo zu den Präsidentschaftswahlen angetreten ist.

Weder «LDPR», noch die Kommunistische Partei, noch «Gerechtes Russland», als die drei grössten Parteien in Russland neben Putins «Einiges Russland», würden es wagen, den Machtanspruch des Präsidenten infrage zu stellen. Doch selbst eine solch zahme System-Opposition ist dem Kreml ein Dorn im Auge, wenn sie zu erfolgreich wird.

Verhängnisvoller Erfolg

Sergei Furgal scheint aus mehreren Gründen ein geeigneter Kandidat, um vor den bevorstehenden Wahlen allen Kandidaten dieser sogenannten System-Parteien ein klares Signal zu geben. Es war Furgal, der vor zwei Jahren bei den Wahlen in der Region Chabarowsk als erster eine ganze Welle von Siegen der «LDPR» gegenüber «Einiges Russland» in den Regionen losgetreten hat.

Diese Erfolge bei den vergangenen Gouverneurs-Wahlen gilt es aus Sicht Moskaus, um jeden Preis zu verhindern, denn zu stark bröckelt die Macht des Kremls aktuell unter der Doppelbelastung von Corona- und Wirtschaftskrise.

Als ehemaligen Geschäftsmann im Fernen Osten Russlands liess sich gegen Furgal zudem wortwörtlich sehr einfach «ein Skelett im Schrank» finden. Die Region Chabarowsk war in den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion ebenso von mafiösen Strukturen durchsetzt wie etwa das benachbarte Wladiwostok.

Wenn nun in Chabarowsk mehrere zehntausend Menschen dennoch für ein lokales Regierungsoberhaupt auf die Strassen gehen, reagiert der Kreml aus guten Gründen nicht repressiv mit Massenverhaftungen. Dafür ist der Protest schlicht zu gross.

Nach Schätzungen haben sich zwischen fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung von Chabarowsk an den Demonstrationen beteiligt. Es ist genau diese Unterstützung der Bevölkerung, die Furgal hinter Gitter gebracht haben dürfte. Unabhängig davon, was er sich tatsächlich hat zuschulden kommen lassen, scheint ein Freispruch Furgals vor Russlands Gerichten ausgeschlossen.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

Echo der Zeit, 11.07.2020, 18:00 Uhr

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