Das Ultimatum gegen Alexander Lukaschenko lief um Mitternacht von Sonntag auf Montag aus. Die bekannteste Oppositionelle des Landes, Swetlana Tichanowskaja, hatte vom belarussischen Machthaber die Freilassung aller politischen Gefangener, ein Ende der Gewalt und seinen Rücktritt gefordert.
Da Alexander Lukaschenko auf keine Forderung eingetreten ist, hat Tichanowskaja für heute landesweit zum Streik aufgerufen. SRF konnte mit der Sprecherin der Oppositionsführerin, Anna Krasulina, ein Interview führen.
SRF: Es schien absehbar, dass Lukaschenko nicht auf Ihre Forderungen eingehen und nicht zurücktreten wird. Weswegen haben Sie trotzdem ein Ultimatum gestellt?
Anna Krasulina: Das Ultimatum ist eine Beschleunigung der Ereignisse, die in ihrem Ablauf nur zu einem logischen Ende führen können: zum Sieg der Demokratiebewegung des ganzen Volkes. Die Deadline ist notwendig, um die Machtübergabe zu beschleunigen, die sich noch drei oder fünf Monate hinziehen könnte.
Weswegen ist aus Ihre Sicht der Streik ein Ausweg aus der politischen Sackgasse im Land?
Erstens hat sich gestern klar gezeigt, dass eine grosse Masse an Leuten demonstriert. Zweitens belastet der Streik tatsächlich die Wirtschaft sehr stark. Wenn die gesamte Wirtschaftsproduktion im ganzen Land heute still stehen wird – worauf wir sehr hoffen –, dann bleiben Lukaschenko noch zwei oder drei Tage, um seinen Koffer zu packen und sein Amt niederzulegen.
Selbst wenn wir beim ersten Mal scheitern, werden wir beim zweiten oder dritten Mal erfolgreich sein.
Was werden Sie tun, wenn der Streik nicht erfolgreich sein wird? Was wird aus der Rolle von Swetlana Tichanowskaja als Oppositionsfüherin?
Uns ist sehr bewusst, dass der Streik von heute unter Umständen nicht sehr gross wird. Die Situation ist sehr schwierig, besonders in den Regionen des Landes. Nicht jeder kann am Streik teilnehmen. Nach mehr als 20 Jahren Diktatur versuchen wir die innenpolitische Situation im Land schrittweise zu verändern. Selbst wenn wir beim ersten Mal scheitern, werden wir beim zweiten oder dritten Mal erfolgreich sein. Wir sind davon überzeugt, dass unser Sieg unausweichlich ist.
Sie haben auch den Sicherheitskräften ein Ultimatum gestellt. Diese waren Lukaschenko bisher treu. Weswegen sollten sie nun die Seiten wechseln?
Früher hatte Lukaschenko Geld, um hohe Gehälter an seinen Sicherheitsapparat auszubezahlen, heutzutage hat er dafür kein Geld. Unser Streik, die vollständige Einstellung der Arbeit in der Hauptstadt und den Regionen des Landes, bei den grösstem Unternehmen wie «Belaruskali» und «Grodno Azot», wird dazu führen, dass er noch weniger Geld für seine Sondereinheiten hat. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn er seine Sondereinheiten nicht mehr bezahlen kann?
Putin hat einen sehr grossen Fehler gemacht, dass er auf Lukaschenko setzte.
Befürchten Sie nicht, dass Lukaschenko in dieser Situation Hilfe aus Russland erhalten wird?
Putin liebt Lukaschenko nicht sonderlich. Als Lukaschenko sich noch für die Interessen Russlands in Belarus eingesetzt hat, unterstützte Putin seine Macht. Aber jetzt fehlen Lukaschenko die Mittel dazu. Selbst wenn ihm danach wäre, könnte er die russischen Interessen in Belarus nicht sicherstellen.
Putin hat einen sehr grossen Fehler gemacht, als er auf Lukaschenko setzte. Dass er nicht begriffen hat, dass keiner der Demonstranten Geld erhalten hat, um zu demonstrieren, sondern es sich um den Willen des Volkes handelt. Hätte Putin dies verstanden, dann wäre die Situation heute anders. Er hätte mit dem Volk in Belarus verhandelt, selbst gegen seinen Willen. Denn es gäbe schlicht keine Alternativen.
Das Gespräch führte Luzia Tschirky.