In Hongkong steht heute ein Schweizer vor Gericht: Der Romand Marc Progin. Dem freischaffenden Fotografen wird öffentliche Unruhestiftung und Mithilfe bei einem Angriff auf einen chinesischen Staatsbürger vorgeworfen. Das machte das Westschweizer Fernsehen RTS publik.
Hintergrund der Vorwürfe: Progin ist im Herbst 2019 in Hongkong, als pro-demokratische Demonstranten einen chinesischen Banker bedrängen. Ein Mann in Sturmhaube schlägt auf diesen ein. Progin fotografierte die Szene, wie er im welschen Fernsehen sagt.
Die Polizei hoffe wohl, mithilfe seiner Fotos den Übeltäter identifizieren zu können, sagt Progin. Deshalb habe man ihn verhaftet. Nun droht dem 74-Jährigen im schlimmsten Fall ein Jahr Gefängnis.
Ein Schweizer Fotograf vor Gericht in Hongkong – das sei ein aussergewöhnlicher Fall, sagt Steffen Wurzel, China-Korrespondent von der ARD. «In Hongkong stehen ausländische Journalistinnen und Journalisten nicht sehr häufig vor Gericht. Und auch wenn Herr Progin kein ‹klassischer› Journalist ist: Er war vor Ort klar erkennbar als Fotograf.»
Kein alltäglicher Fall – aber ein böses Omen
Tatsächlich sieht man Progin auf Videos, die im Netz kursieren. Auf den Aufnahmen trägt er eine Signalweste; solche tragen jeweils auch ausländische Berichterstatter, um kenntlich zu machen, dass sie nicht Teil des Demonstrationszugs sind.
Dass eine derart gekennzeichnete Person aus dem Ausland vor Gericht gestellt werde, sei alles andere als alltäglich, so Wurzel. Aber: «Es passt auch ins Bild, denn es folgt einem Trend.» Denn ganz grundsätzlich sei journalistisches Arbeiten in Hongkong in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. «Das gilt für Auslandskorrespondenten, aber erst recht für die sehr vielen Journalisten aus Hongkong selbst.»
Die Regierung in Peking entzieht der Hongkonger Protestbewegung zusehends die demokratischen Rechte. Und auch für Journalisten wird die Luft dünner, berichtet Wurzel. Es herrsche eine grosse Unsicherheit: «Ein Professor der Journalismus-Fakultät an der University of Hongkong erklärt es so: Niemand weiss, wo die rote Linie verläuft.»
In der Konsequenz setzt eine Art Selbstzensur ein, eine Schere im Kopf.
Was die pekingtreuen Behörden und der Sicherheitsapparat dulden und wo die Grenze zur Illegalität verläuft, ist demnach zunehmend unklar.
Die Schere im Kopf
Für den deutschen Journalisten folgt dies einem ähnlichen Prinzip wie das «Sicherheitsgesetz», das die Hongkonger Regierung gegen den Willen der Demokratiebewegung durchgesetzt hat: «Diese Schwammigkeit gibt es in Festland-China schon seit vielen Jahren. In der Konsequenz setzt eine Art Selbstzensur ein, eine Schere im Kopf.»
Heisst: Im Zweifel würden chinesische Journalistinnen und Journalisten auf kritische Berichterstattung verzichten, um das eigene Medium, die eigene Existenz und Familie zu schützen. «Und viele in Hongkong sind sich einig, dass wir gerade genau das erleben», so Wurzel.