In Berlin hat unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess im sogenannten Tiergartenmord begonnen. Am 23. August 2019 war ein aus Tschetschenien stammender Georgier am helllichten Tag im Kleinen Tiergarten erschossen worden, mit einer schallgedämpften Pistole.
Hintergrund der Tat soll die mutmassliche Gegnerschaft des Opfers zum russischen Zentralstaat gewesen sein. Der Angeklagte soll sich dem Opfer auf einem Velo genähert und ihn mit Kopfschüssen getötet haben. Der Russe wurde kurz darauf festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.
Prozess mit politischer Dimension
Laut Deutschland-Korrespondent Peter Voegeli dürfte der Ausgang des Prozesses erhebliche Auswirkungen auf das deutsch-russische Verhältnis haben. Denn in der Anklageschrift steht, der Angeklagte sei von «staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation» beauftragt worden.
«Der deutsche Generalbundesanwalt geht davon aus, dass der Mord direkt oder indirekt mit Wissen und Billigung oder gar im Auftrag der russischen Regierung stattgefunden hat», erklärt Voegeli. «Man kann davon ausgehen, dass er sich sehr sicher ist, sonst würde er sich nicht so dazu äussern.»
Der Ermordete soll ein tschetschenischer Widerstandskämpfer gewesen sein – oder ein Terrorist. «So nennt ihn zumindest der russische Präsident Wladimir Putin», sagt Voegeli, der den Prozess in Berlin verfolgt. Der Mord soll also eine Strafaktion gewesen sein, mit der man ein Zeichen habe setzen wollen.
Investigative Medien hatten Indizien entdeckt, die darauf hinweisen, dass der russische Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte. Der Mörder soll Mitglied einer Spezialeinheit des Geheimdienstes gewesen sein und soll sein Visum über eine Firma beantragt haben, die zum russischen Geheimdienst gehört.
Das Fass zum Überlaufen gebracht
Die russisch-deutschen Beziehungen sind seit Längerem angespannt. «Der Fall Nawalny hat das Fass zum Überlaufen gebracht, das schon voll war», sagt Voegeli mit Blick auf die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Das zeige die ungewöhnlich heftige Reaktion Angela Merkels: Die Bundeskanzlerin schloss Sanktionen gegen Russland nicht aus.
Die Bundesregierung wirft Moskau auch im Fall Tiergartenmord mangelnde Kooperation vor – was Moskau zurückweist. «Zum Beispiel hat Moskau gesagt, es sei ein Auslieferungsbegehren gestellt worden für den georgischen Asylbewerber, der legal hier gelebt hatte, das Berlin aber abgelehnt habe. Doch Berlin sagt, Moskau habe nie ein solches Begehren gestellt.»
Nach dem mutmasslichen Täter sei in Russland bereits vor ein paar Jahren gefahndet worden, weiss Voegeli. In Deutschland vermute man deshalb, dass er nun gefährdet sei: «Denn falls er redet, ist das ein Risiko für Moskau.» Es sind 25 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil wird im Januar erwartet.