Die Beziehungen zwischen Russland und der EU, insbesondere zwischen Moskau und Berlin, sind schlecht. Die deutsche Russland-Politik stecke in einem Dilemma, sagt der deutsche Politologe und Russland-Experte Stefan Meister.
SRF News: In welchem Dilemma steckt die deutsche Russland-Politik?
Stefan Meister: Wir beobachten seit 2012 eine kontinuierliche Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen. Als Letztes haben wir den Giftgasanschlag auf Alexej Nawalny gesehen. Davor gab es einen Hackerangriff auf den Bundestag und einen Mord im Berliner Tiergarten. Es gab eine ganze Reihe von Ereignissen, die die Beziehung erschwert haben.
Russland kooperiert nicht um der Kooperation willen, sondern nur, weil es etwas davon hat.
Deutschland hat immer versucht, in einem kooperativen und kompromissbereiten Verhältnis zu Russland zu stehen. Und Deutschland braucht Russland scheinbar für Syrien, Libyen und andere internationale Konflikte. Aber die russische Führung ist überhaupt nicht kompromissbereit. Das ist das Dilemma.
Sie sagen, es wäre ein Paradigmenwechsel nötig, um Bewegung in diese Beziehung zu bringen. Was meinen Sie damit?
Man muss verstehen, wie die russische Politik funktioniert und welcher Rationalität sie folgt. Sie hat in den letzten Jahren Deutschland, aber auch die EU, immer mehr als Gegner gesehen und nicht als Partner. Wenn man mit Russland kooperieren will, muss man eine Verhandlungsposition und auch eine Verhandlungsstärke gegenüber der russischen Führung haben.
Russland kooperiert nicht um der Kooperation willen, sondern nur, weil es etwas davon hat. Man muss in Konflikten oder bei Themen, die für Russland wichtig sind, die eigene Verhandlungsposition stärker aufbauen.
Sie vertreten die Meinung, dass man mit dem Pipeline-Projekt Nord Stream 2 noch mehr Druck aufsetzen könnte?
Wir reden seit Jahren darüber. Als das Projekt 2015 beschlossen wurde, hiess es, dass dies auch dazu diene, die Beziehung zu pflegen. Doch diese Kooperation hat nicht dazu geführt, dass Russland Kompromisse gemacht hätte. Darum könnte man es als eine Art Verhandlungsinstrument benutzen. Wenn die russische Seite bei Themen wie Donbass, Ukraine, Syrien oder aktuell Belarus keinerlei Kompromisse eingeht, sollte man sagen, wir stoppen dieses Projekt. Das ist die Sprache, die die russische Führung versteht.
Diese ganzen Kooperations- und Kommunikationsangebote haben einfach nichts gebracht.
Es wäre eine Art Strafe. Es gibt aber Experten, die sagen, Sanktionen gegen Russland brächten gar nichts.
Sanktionen sind immer schwierig und treffen oft Gruppen, die man nicht treffen will. Aber in dieser Logik russischer Politik muss man die Kosten für bestimmte Handlungen erhöhen. Wir haben gesehen, dass es im Konflikt um die Ukraine funktioniert hat, als die Sanktionen kamen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hat Russland den Vormarsch in der Ukraine gestoppt.
Mein Punkt ist nur, dass diese ganzen Kooperations- und Kommunikationsangebote, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, einfach nichts gebracht haben.
Ist die aktuelle Russland-Politik Deutschlands eine Politik von Angela Merkel? Wird sich das ändern, wenn es in Deutschland politische Veränderungen gibt?
Ja und Nein würde ich sagen. Kanzlerin Angela Merkel hat die Russland-Politik nach Kanzler Gerhard Schröder massgeblich geprägt. Mit ihrer ostdeutschen Herkunft und ihren Erfahrungen mit der Sowjetunion in der ehemaligen DDR hat sie ein anderes Verständnis von Russland und vom System Putin. Aber es gibt eine Entwicklung, die unabhängig von Merkel weitergehen wird. Auch wenn ihre starke Persönlichkeit, die mit Putin verhandeln kann, fehlen wird.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.