- Russlands Präsident Putin besucht Japans Premier Abe.
- Thema sind der Streit um die Kurilen-Inseln sowie die Wirtschaftsbeziehungen.
- Washington wollte das Treffen verhindern, weil es befürchtet, Japan könnte aus der Sanktionsfront gegen Russland ausscheren.
SRF News:
Russlands Präsident Putin trifft in Japan Premier Shinzo Abe. Thema ist unter anderem der Streit um die Kurilen-Inseln. Worum geht es da genau?
Martin Fritz: In Japan heissen die vier umstrittenen Inseln «nördliche Territorien», in Russland «südliche Kurilen». Die ursprünglich japanischen Inseln wurden bei Kriegsende 1945 von Russland besetzt. 1956 beendeten die beiden Länder den Kriegszustand formal und Russland wollte zwei der vier Inseln an Japan zurückgeben. Doch Tokio beharrt auf der Rückgabe aller vier Inseln, deshalb gibt es bis heute keinen Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern. Nun muss ein Kompromiss her, doch das Thema ist für die Japaner sehr emotional: Noch immer leben einige der damals von den Inseln vertriebenen Japaner, und sie demonstrieren jedes Jahr für die Rückgabe der Inseln.
Was erhofft sich Japan von dem Treffen zwischen Abe und Putin?
Abe will Putin etwas umgarnen und dann den Gordischen Knoten im 70-jährigen Streit um die Inseln durchschlagen. So wäre der Abschluss eines Friedensvertrags möglich, was es wiederum zuliesse, die wirtschaftlichen und politischen Bande zwischen Russland und Japan zu stärken. Tokio erhofft sich dadurch, gegenüber China stärker und flexibler agieren zu können.
Neben den emotionalen Gründen: Sind die Inseln denn auch wichtig für Japan?
Japan sieht nicht ein, wieso es nach dem verlorenen Krieg mit Gebietsverlusten büssen muss, wie das etwa Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt und akzeptiert hat. Bekanntlich war Okinawa lange in amerikanischer Hand, wurde aber 1972 an Japan zurückgegeben, das soll nun auch mit den Kurilen geschehen. Japan will als Folge des Zweiten Weltkriegs also keinen Quadratmeter Staatsgebiet aufgeben. Der Krieg soll für das Land ohne territoriale Folgen bleiben.
Eigentlich weiss Abe, dass die japanische Position nicht haltbar ist.
Was kann Japan den Russen als Gegenleistung für die Kurilen-Inseln denn anbieten?
Premier Abe vermittelte bislang den Eindruck, man müsse Russland nur genügend Wirtschafts- und Finanzhilfe anbieten, damit es zu einem Kompromiss komme. Dabei weiss Abe eigentlich, dass die japanische Position nicht haltbar ist. Das kann er der japanischen Öffentlichkeit aber nicht so sagen. Das Ganze ist für Abe deshalb eine Gratwanderung. Bereits wirft ihm die Opposition vor, Russland erhalte zu viel, ohne etwas zurückgeben zu müssen. Putin sagte vor der Abreise nach Japan, Russland habe kein Territorialproblem, ein solches habe nur Japan. Es ist dies ein Signal an Japan, dass es die alte Position, alle vier Kurilen-Inseln zurückzuerhalten, wohl aufgeben muss.
Könnte es denn zu einer Annäherung zwischen Moskau und Tokio kommen, auch wenn Russland die Kurilen behält?
Eine echte Annäherung kann es nur geben, wenn der Inselstreit gelöst ist. Das japanische Interesse an einer Annäherung scheint mir stärker zu sein als das russische. Putin sitzt also am längeren Hebel. Ausserdem hat er einen weiteren Hintergedanken:
Er möchte Japan aus der G7 herausbrechen, die wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Moskau verhängt hat. In einem Interview im Vorfeld der Reise sagte Putin, bessere Wirtschaftsbeziehungen zu Japan hätten keinen Sinn so lange gegen Russland Sanktionen in Kraft seien. Die USA versuchten denn auch, das Treffen zwischen Abe und Putin zu verhindern. Doch Japans Regierung ignorierte die Bedenken aus Washington und stellte sich auf den Standpunkt, es gebe nationale Interessen für die Gespräche.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.