Man konnte sich die Augen reiben ob der Vorgänge, die sich am Mittwoch im Bundestag abspielten. Sogenannte «Querdenker» belästigten und bedrängten Abgeordnete, beschimpften den Wirtschaftsminister, der das Pech hatte, deren Weg zu kreuzen, während sich draussen vor dem Parlamentsgebäude Gleichgesinnte die Seele aus dem Leib brüllten und nur mit Wasserwerfern der Polizei unter Kontrolle gebracht werden konnten.
Solche Szenen sind ungewohnt in Deutschland. Und sie zeugen davon, an welch heiklem Punkt sich die Bundesrepublik befindet. Dabei spielt die AfD ihre gewohnte Rolle als Brandstifter. Sie hatte im Netz zu Unruhen aufgerufen und die Querulanten in den Bundestag als «Gäste» eingeladen.
Keine Lappalie
Nun also die Aussprache im Plenum des Parlaments, die einmal mehr zeigte, wo die Front verläuft: Geschlossen stellten sich Abgeordnete aller Parteien gegen die AfD. Doch deren Provokationen bestimmen die Tagesordnung.
Die Aktion aus den Reihen der AfD sei keine Lappalie, sondern ein Bruch mit der parlamentarischen Kultur, so der Geschäftsführer der CDU, Michael Grosse-Brömer. Eine Abstimmung habe durch Nötigung beeinflusst werden sollen, statt mit Argumenten. Juristische Schritte wurden eingeleitet.
Protest gegen «Ermächtigungsgesetz»
Bundestag und Bundesrat hatten an jenem Mittwoch ein neues Infektionsschutzgesetz beschlossen, das den Rahmen für Anti-Corona-Massnahmen der Regierung setzt. Von einem «Ermächtigungsgesetz» sprach die AfD und referierte damit an ein Gesetz der Nationalsozialisten, das 1933 die Demokratie ausser Kraft setzte.
Eine «bodenlose Unverschämtheit» nannte das Petra Pau, Bundestags-Vizepräsidentin der Partei Die Linke, eine «bewusste Lüge» Dirk Wiese von der SPD. Allein: Unverschämtheiten sind für die AfD nicht neu. Provokationen gehören zur Strategie der sogenannten Alternative für Deutschland im Parlement.
Gewollte Strategie der AfD
Genauso gehören nachträgliche Beschwichtigungen dazu, wie sie heute von Fraktionschef Alexander Gauland zu hören waren. Er entschuldigte sich für die Vorgänge, um im gleichen Atemzug zu beteuern, damit habe man nicht rechnen können.
Die übrigen Parteien sehen die Aktion als Teil einer gewollten Strategie. Kräfte am äussersten rechten Rand würden die Corona-Pandemie instrumentalisieren, um das herrschende System zu destabilisieren. Es werde ein alles entscheidender Endkampf stilisiert, den es so nicht gibt.
Der bedrängte Minister Altmaier entgegnete seiner wütenden Kritikerin, sie gehöre zu einer kleinen Minderheit, und er hat recht. Die überwiegende Mehrheit im Land trägt die Politik der Regierung mit, in der aktuellen Krise mehr denn seit langem.
Massnahmen werden hinterfragt, Widersprüche angeprangert, Grundsatzdebatten geführt und Argumente abgewogen. In den traditionellen Medien herrscht eine Vielfalt von Meinungen, eine aufziehende Diktatur ist nicht in Ansätzen zu erkennen.
Freund oder Feind
«In welchem Land möchten Sie lieber leben als hier?», fragte Gesundheitsminister Jens Spahn diese Woche rhetorisch Alexander Gauland, und auch manchem der sogenannten «Querdenker» dürfte diese Frage gegolten haben.
Die Diskussion ist hitzig geworden in Deutschland, und die Aussicht, möglicherweise noch Jahre unter den Bedingungen der Pandemie leben zu müssen, lässt nicht darauf hoffen, dass sich daran bald etwas ändert. Freund oder Feind, Schwarz oder Weiss – das sind die Muster, in denen zunehmend gedacht und gestritten wird. Die AfD leistet ihren ganz eigenen Beitrag dazu.