Die Strassen von Idlib sind unmittelbar vor Beginn des Ramadans so voll wie andernorts auch in der muslimischen Welt. Es herrscht ein Gewusel, es ist laut, die Geschäfte laufen. Trotz Krieg und Coronavirus. «Die Leute hier haben keine Angst vor dem Tod. Ich denke, wir sollten zwar etwas vorsichtiger sein, aber bis jetzt ist es okay», sagt Abu Khaled al Agha.
Er kommt ursprünglich aus Damaskus, aus Jobar, um genau zu sein. Von dort floh er Mitte des Krieges nach Idlib. «Das Coronavirus beeinträchtigt die Geschäfte überhaupt nicht. Ramadan steht vor der Tür, das Waffenstillstands-Abkommen, das die Türkei und Russland ausgehandelt haben, hält weitgehend. Die Situation ist besser als noch vor einem Monat.»
«Wir sollten vorsichtiger sein»
Ein paar Schritte weiter verkauft Hossam Abdullah el-Maara Erdbeeren. El-Maara traut der Sache weniger: «Wir sollten vorsichtiger sein. Die Leute sollten nicht zusammen beten, wir sollten überhaupt alle grösseren Ansammlungen vermeiden.»
Doch das ist in der Nordwest-syrischen Enklave, über die noch vor ein paar Wochen täglich russische und syrische Bomben niedergegangen sind, und in der vor allem islamistische Assad-Gegner das Sagen haben, leichter gesagt als getan.
Nach den Tagen in den Kellern oder auf der Flucht wollen die Menschen die herrschende Waffenruhe ausnutzen: «Die Leute wollen zusammensitzen. Sie wollen Zeit zusammen verbringen.» El-Maara schüttelt den Kopf: «Wir sollten wirklich etwas vorsichtiger sein.»
Corona betrifft Säulen des Islam
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stellen gläubige Muslime vor mehrere Herausforderungen. Das Virus trifft gleich drei der fünf Säulen des Islam. Viele auch muslimische Länder haben die Versammlungsfreiheit so weit eingeschränkt, dass das gemeinsame Gebet zurzeit nicht möglich ist.
Im Ramadan treffen sich die Muslime gewöhnlich abends zum gemeinsamen Fastenbrechen. Man sitzt im Familien- oder Freundeskreis, beginnt den Abend mit Datteln, Süssigkeiten und einem Glas Wasser oder Milch. Nach dem gemeinsamen Gebet wird gegessen.
In vielen vor allem ärmeren Quartieren kommen zum Iftar, wie das öffentliche Fastenbrechen genannt wird, die Menschen zusammen, um sich an langen Ramadan-Tafeln von den Reichen bewirten zu lassen.
Ramadan-Tafeln verboten
Doch in Ägypten zum Beispiel hat die Regierung diese Ramadan-Tafeln verboten. Auch Saudi-Arabien, der Iran und viele andere Länder halten die Gläubigen dazu an, auf öffentliche Versammlungen zu verzichten.
So hat sich beispielsweise das geistige Oberhaupt des Iran, Ali Chamenei, bereits vor Wochen an die Iranerinnen und Iraner gewandt und ihnen eingeschärft, dass sowohl gemeinsame Gebete wie auch das gemeinsame Fastenbrechen dieses Jahr ausbleiben müssten.
In Saudi-Arabien hat der Minister für religiöse Angelegenheiten Anfang Woche noch einmal bekräftigt, dass alle Muslime, auch während des heiligen Fastenmonats, ausschliesslich zu Hause beten dürften.
Das wird in Idlib kaum der Fall sein. «Ein paar Leute schützen sich zwar etwas, und gehen nicht mehr in die Moschee, um zu beten.» Abu Khaled al Agha lacht. Aber das abendliche Fastenbrechen wegen Corona alleine zu Hause zu begehen, kommt für viele in diesem Kriegsgebiet nicht infrage.