Immer mehr Türken stellen Asylanträge in Deutschland: Im ersten Halbjahr sei die Zahl fast schon so hoch wie insgesamt im Vorjahr, bestätigte das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dem Berliner «Tagesspiegel».
Demnach registrierte die Behörde von Januar bis Juni 1719 Asylanträge von Türken. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 1767. Wie sich die Lage seit dem Putschversuch im Juli entwickelt, kann das Bamf noch nicht sagen. Trotz der dramatischen Situation im Südosten der Türkei sei die Anerkennungsquote bei Asylanträgen jedoch deutlich gesunken.
Gerd Appenzeller, ehemaliger Herausgeber des «Tagesspiegel», begründet die gesunkene Anerkennungsquote damit, dass das türkische Grenzgebiet aus Sicht Deutschlands derzeit nicht unbedingt ein Kriegsgebiet sei.
«Asyl bekommen Menschen, die aus unmittelbaren Bürgerkriegs-Gegenden kommen.» Dies bedeute aber nicht, dass die Asylsuchenden zurückgewiesen würden, so Appenzeller: «Deutschland hat eine relativ grosszügige Duldung.»
Deutsch-Türken erwarten keine Flüchtlingswelle
Nun könnte jedoch auch die Verfolgung von Oppositionellen nach dem gescheiterten Putsch zu einem Anstieg der Asylgesuche führen. Appenzeller glaubt jedoch nicht, dass dies bald in grosser Zahl passieren wird: «Erdogan lässt Andersdenkende entweder verhaften oder aus den Jobs schmeissen. Und er nimmt ihnen das Vermögen und die Pässe weg – diese Leute können das Land legal gar nicht verlassen.»
Trotz Verfolgung von Regierungsgegnern in der Türkei erwartet auch die Türkische Gemeinde in Deutschland keine grosse Fluchtbewegung. «Die Lage ist kritisch, Menschen versuchen auszureisen, aber vor allem auch in Staaten etwa in Asien, weil dort der Lebensstandard bezahlbar ist und auch die Einreisebestimmungen nicht so scharf sind», sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, deutschen Zeitungen.
Auch Türken in Deutschland polarisiert
Die Menschen würden nach dem gescheiterten Putsch eher abwarten, wie sich die Situation entwickle, so Sofuoglu weiter. Er kritisiert zudem die seiner Meinung nach zugespitzte Debatte in Deutschland über den EU-Beitritt der Türkei und die Rolle der Türken in der Bundesrepublik.
«Wer jetzt die doppelte Staatsbürgerschaft kritisiert oder die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei angreift, der spielt genau das Spiel von Erdogan mit», sagt Sofuglu. Rund drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in Deutschland. Diese seien «immer weiter polarisiert» zwischen Erdogan-Gegner und Erdogan-Befürworter, so Sofuoglu. «Das muss aufhören. Wir brauchen eine sachliche Debatte.»