In der 52. Minute tauchten sie plötzlich auf dem Spielfeld auf: Drei junge Frauen und ein Mann in Polizeiuniformen stürmten im Moskauer Luschniki-Stadion auf den Rasen. Die kroatische Nationalmannschaft war gerade daran, den Ball in Richtung französisches Tor zu spielen. Das Spiel wurde unterbrochen. Stewards der Fifa rannten den Spiel-Störern nach, packten sie und schleiften sie schliesslich davon.
Pussy Riot reklamierte Störaktion für sich
«Die Polizei mischt sich ins Spiel ein», hat Pussy Riot diese Aktion getauft. Auf Ihrer Facebook-Seite schreibt die Gruppe, sie fordere die Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland, ein Ende der Verfolgung Andersdenkender und ganz allgemein mehr Freiheit im Politikbetrieb.
Berühmt geworden ist die Punkband und Protest-Gruppe Pussy Riot mit ihrem «Punk-Gebet» von 2012. Damals traten mehrere Aktivistinnen mit gestrickten Gesichtsmasken in der Zentralen Moskauer Kathedrale auf und protestieren mit einem Lied gegen die Allianz von Kirche und Kreml.
Im Vergleich dazu wirkt die Aktion von gestern am WM-Endspiel reichlich uninspiriert und wenig originell. Aufs Spielfeld rennen – das haben andere vor Pussy Riot auch schon gemacht.
Im TV zensuriert
Andererseits: immerhin hat die Gruppe ein Ziel erreicht, sie hat mit der Spiel-Störung daran erinnert, dass Russland nicht nur das Land der fröhlichen Fussball-Gastgeber ist. Russland ist und bleibt ein Staat, in dem man für seine politischen Ansichten im Gefängnis landen kann. Der Kreml hat die WM dazu genutzt, das Image Russlands und seines politischen Systems aufzupolieren. Pussy Riot hat diese PR-Kampagne ein bisschen angekratzt. Aber nur ein bisschen.
Denn den Zuschauern im Stadion war nicht klar, wer hier überhaupt aufs Spielfeld rennt, worum es überhaupt geht. Und in den TV-Live-Übertragungen wurde die Szene in vielen Ländern nur kurz gezeigt. Allerdings nicht, weil der Kreml die unliebsame politische Aktion zensuriert hat. Vielmehr ist es auf der ganzen Welt üblich, solche Rasen-Flitzer nicht zu zeigen – um nicht Nachahmer zu inspirieren.
Wie berechtigt politischer Protest in Russland ist, hat die Aktion dennoch gezeigt. Im Internet ist ein Video aufgetaucht, das zwei Pussy-Riot-Aktivisten nach der Festnahme beim ersten Verhör zeigen soll. Ein Sicherheitsbeamter herrscht die beiden grob an. «Was bist Du für ein Luder?», schreit er. Und: «Manchmal bereue ich, dass wir nicht mehr 1937 haben.» Die Jahreszahl 1937 steht in Russland für die schlimmsten Exzesse des kommunistischen Terrors, als unzählige unschuldige Menschen ohne fairen Prozess erschossen wurden. Ob das Video tatsächlich echt ist, war zunächst unklar.
Eine Schmutzspur bleibt zurück
Mit viel Sympathie in Russland für ihren Auftritt kann Pussy Riot allerdings nicht rechnen. «Psychisch krank» sei die Gruppe, schrieb etwa die kremltreue Boulevardzeitung «Moskovsky Komsomolez». Andere Stimmen beschuldigten die Aktivisten, sie hätten das Image Russlands beschmutzen wollen.
Die Pussy-Riot-Leute würden das möglicherweise sogar bestätigen. Das war ja gerade die Idee ihrer Aktion: Sie wollten die Welt darauf hinweisen, dass Russland auch düstere Seiten hat. Am Montagmittag waren die vier noch in Polizeigewahrsam.