Bis zu zwei Monate Gefängnis, Geldstrafen oder Peitschenhiebe – das riskieren Frauen, die in Iran ohne Kopftuch auf die Strasse gehen. Zumindest, wenn es nach dem Gesetz im Gottesstaat und den Vorstellungen der Sittenwächter geht. In den letzten Jahren war der Kopftuchzwang aber liberaler ausgelegt worden, vor allem in der Hauptstadt Teheran.
Derzeit schwingt das Pendel im Iran allerdings wieder in die andere Richtung: Konfrontiert mit seit Wochen andauernden Protesten verhärten sich die Fronten zwischen Reformern und Konservativen erneut.
Neuestes Beispiel: Am Donnerstag wurden 29 Frauen festgenommen, weil sie gegen den Kopftuchzwang protestiert hatten.
Über die sozialen Medien verbreiteten sich Bilder der Aktion weit über den Iran hinaus. Allein: Sind diese Aufnahmen Ausdruck einer Proteststimmung, die tatsächlich weite Teile der Gesellschaft erfasst hat?
Natalie Amiri, Iran-Korrespondentin der ARD, relativiert gegenüber SRF News: «Bisher sind es Einzelaktionen von Frauen, die nicht untereinander vernetzt sind.» Gemeinsam hätten sie aber eine «unglaublich grosse Wut auf das System». Ein derart mutiger Protest von Frauen sei historisch einmalig: «Und daraus kann eine Bewegung werden.»
Denn: Die Wut auf systematische Beschneidung der Rechte der Frauen – etwa im Familien- und Strafrecht – sei in der Islamischen Republik «grossflächig».
Das Kopftuch ist mit das Heikelste im Iran. Thematisiert man es, fühlen sich das System und die Konservativen in ihren Grundwerten erschüttert.
Die Aktion wird von manchen Beobachtern als zweite Welle der politischen und wirtschaftlichen Proteste im Land eingestuft, die die Führung zunächst beenden konnte.
Amiri sieht insofern einen Zusammenhang zwischen den Protesten, als die Kritik am System generell immer grösser werde: «Zum Jahreswechsel gingen die Menschen auf die Strasse und haben die Wirtschaftsmisere kritisiert. Dann wurden die Proteste zunehmend regimekritisch: Es ging so weit, dass Plakate des Revolutionsführers Chamenei zerrissen und verbrannt wurden und ‹Tod dem Diktator› gerufen wurde.»
Dass die Machthaber nun rigoros gegen die Kopftuchproteste vorgehen, wertet die Iran-Kennerin als Zeichen der Nervosität. Denn eigentlich habe sich die Kontrolle durch die Religionspolizei in den letzten 20 Jahren gelockert: «Früher durfte kein einziges Haar gezeigt werden auf der Strasse.» Heute werde das Kopftuch oft relativ lose getragen, viele Frauen würden es etwa beim Autofahren ganz ablegen, und es erst in Sichtweite von Polizeikontrollen wieder anlegen.
Allerdings: Sobald die Sittenwächter nicht etwa liederliches Verhalten, sondern politischen Protest in der Missachtung der Kopftuchpflicht erkennen, drohten generell drakonische Strafen. Entsprechend dürften die iranischen Frauen kaum überrascht über die Festnahmen sein – umso mutiger erscheint ihr Protest.
Auch die Monarchisten haben geglaubt, dass sie ewig an der Macht bleiben. Am Ende haben sie alles verloren.
Der gemässigte iranische Präsident Hassan Rohani rief die Führung des Landes unterdessen auf, die Proteststimmung in der Bevölkerung ernst zu nehmen: «Wir können nichts erreichen, wenn wir die Menschen nicht hinter uns haben und ihre Kritik ignorieren.» Die Revolution von 1979 habe auch den Monarchisten gezeigt, was geschehe, wenn man nicht auf die Stimme des Volkes höre.
Zu den Kopftuch-Protesten äusserte sich Rohani jedoch nicht. Und das aus gutem Grund, glaubt Amiri: «Das Kopftuch ist mit das Heikelste im Iran. Thematisiert man es, fühlen sich das System und die Konservativen in ihren Grundwerten erschüttert: Dadurch werden die Säulen der Islamischen Republik angesägt.»
Erst das Kopftuch, dann die Scharia?
Die Konservativen würden der aufkeimenden Bewegung in der Frage «keinen Schritt» entgegenkommen, prognostiziert Amiri. Das Kopftuch sei ein Symbol für den Islam, und werde von den Konservativen entsprechend verteidigt: «Sie denken: Wird nur eines dieser Symbole revidiert oder modernisiert, könnte demnächst auch die Allmacht des Revolutionsführers oder die Stellung der Scharia infrage gestellt werden.»
Entsprechend eifersüchtig wachen die konservativen Kräfte über die vermeintlichen Errungenschaften der Revolution; während viele junge Menschen, so Amiri, durch das Internet und die sozialen Medien immer stärker mit der Welt verbunden seien: «Sie wollen Reformen und mehr Freiheiten in ihrem Leben.»
Die Hoffnung auf einen wirklichen Wandel konnte auch der gemässigte Präsident Rohani nicht einlösen: «Er kam bislang nicht an der ultra-konservativen Justiz vorbei und hat gerade im gesellschaftlichen Bereich wenig Reformen durchsetzen können», so die Journalistin.
Leiser dürften die Forderungen der Menschen aber nicht werden, ist Amiri überzeugt. Fest steht: Der Iran dürfte so schnell nicht nur Ruhe kommen.