Die NSU-Mordserie, der Mordfall Lübcke und auch die Anschläge von Halle und Hanau haben Deutschland aufgerüttelt. Im Kampf gegen extremistischen Terror brauche es aber nicht nur eng vernetzte Behörden und mehr Polizisten, sagt Andrea Lindholz vom Innenausschuss im Bundestag.
SRF News: Welche Lehren hat man aus dem Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gezogen?
Andrea Lindholz: Im Mordfall Lübcke stellen wir fest, dass der Täter doch möglicherweise nie so ganz vom Radar der Behörden verschwunden war. Eine Thematik ist deshalb die gute Vernetzung der Sicherheitsbehörden in Bund und Land. Dazu kommt die Radikalisierung im Netz. Inzwischen ist ein Gesetz auf dem Weg, das Hass und Hetze im Netz betrifft. Ebenso sollen die Verfassungsbehörden noch mehr rechtliche Befugnisse in der digitalen Welt erhalten. Das muss immer auch mit dem Datenschutz abgewogen werden.
Es gibt grundsätzliche Kritik, dass in der Analyse rechter Terrorsysteme Defizite bestünden. Es sei zu oft die Rede von Einzeltätern oder Spinnern. Teilen Sie diese Kritik?
Was man sehr deutlich sagen muss: Wir haben aktuell in Deutschland tatsächlich ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Die Theorie vom Einzeltäter und einsamen Wolf hat man in den letzten drei Jahren verändert. Ausgehend auch vom islamistischen Terror, wo sich Einzelpersonen im Netz radikalisieren. Die Behörden haben sich von dieser reinen Einzeltäter-Theorie verabschiedet.
Was man sehr deutlich sagen muss: Wir haben aktuell in Deutschland tatsächlich ein Problem mit dem Rechtsextremismus.
Alle diese Täter haben ein soziales und familiäres Umfeld. Es geht bei den Warnsystemen aber auch um die Bildung. Die ganze Frage des Wiederaufkeimens auch des Rechtsextremismus muss Gesellschaft und Bildung in Zukunft mitbeeinflussen. Es ist viel mehr Präventionsarbeit nötig.
Wo würden Sie da ansetzen und was wäre Ihnen bei dieser Arbeit besonders wichtig?
Einerseits muss man in der Schule ansetzen. Das gehört für mich zur schulischen Bildung noch viel stärker dazu, als was wir bisher in den Lehrplänen drin haben. Es muss auch in die Ausbildung von Sicherheitsbehörden und Lehrkräften stärker einfliessen.
Als Beispiel: Ich hatte eine Schulklasse zu Besuch in Berlin, als ein Schüler mit mir über den ‹Vogelschiss der Geschichte› debattieren wollte, den der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland im Zusammenhang mit dem Holocaust aufgebracht hatte. Ich habe hilflose Lehrkräfte erlebt, die nicht eingeschritten sind und mit mir versucht haben, zu erklären, dass das eine Verleugnung und eine Verharmlosung unserer Geschichte ist. Ich habe dabei das Gefühl bekommen, dass unsere Gesellschaft an vielen Stellen gar nicht wehrhaft genug ist.
Ich habe das Gefühl bekommen, dass unsere Gesellschaft an vielen Stellen gar nicht wehrhaft genug ist.
Und doch stellen Sie nach den jüngsten Fällen eine vermehrte Sensibilisierung fest?
Ja. Bei den Sicherheitsbehörden, in der Politik und sogar ein Stück weit auch in der Gesellschaft. Ich habe den Eindruck, dass nach Hanau nochmals eine ganz neue Debatte losgebrochen ist. Im Fernsehen, in den Netzwerken, aber auch im Miteinander. Das betrifft auch die Verharmlosung gewisser Begriffe, wie sie die AfD wählt.
Braucht es auch mehr sichtbare Polizei, wie dies Innenminister Horst Seehofer sagte?
Ja, absolut. Diese Forderung nach mehr Polizei formuliert auch die Polizei selber. Ebenso Bürgerinnen und Bürger. Zu Recht. Für das Sicherheitsgefühl ist es von Bedeutung, wenn man weiss, dass die Polizei da ist, ansprechbar, sichtbar. Über die Wiedereinführung der Reiterstaffel in Bayern hat zwar manch einer geschmunzelt, aber auch das stärkt das Sicherheitsgefühl.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.