Wer in Suchmaschinen nach irgendetwas sucht, stösst fast immer auf einen Wikipedia-Beitrag, meist befindet er sich ganz oben in den Suchergebnissen. Das Onlinelexikon ist eine der wichtigsten Plattformen für freies Wissen; tausende Freiwillige erstellen Beiträge. Als «kollektives Wissen» beschreibt Daniel Laufer die Plattform. Der Investigativjournalist spricht gar von der wichtigsten Webseite unserer Demokratie.
Doch in den 2000er-Jahren wurde diese Schwarmintelligenz attackiert. Damals sollen Rechtsextreme Wikipedia genutzt haben, um Informationen gezielt zu manipulieren. In einem ARD-Podcast untersuchen Laufer und seine Kollegen diesen Fall.
Die Geschichte umschreiben
Von spätestens 2005 bis mindestens 2010 haben Rechtsxextreme versucht, Artikel der deutschen Geschichte umzuschreiben. Die Gruppe nannte sich «Rosa-Liebknecht-Sockenpuppenzoo». Mit über 700 Fakeprofilen hätten sie mehr als 20'000 Bearbeitungen vorgenommen, so Laufer. Ziel war es beispielsweise, den Holocaust zu verharmlosen, die deutsche Verantwortung am Zweiten Weltkrieg umzudeuten und Artikel im Sinne ihrer ideologischen Agenda zu verändern.
Bei Wikipedia entstehen viele Inhalte in Zusammenarbeit. Eine Person macht einen Änderungsvorschlag, eine weitere Person gibt ein Feedback, Änderungen werden schliesslich vorgenommen.
Die Rechtsextremen haben während rund fünf Jahren dieses System ausgenutzt: «Die Gruppe hat mit Fakeaccounts eine Mehrheitsmeinung vorgetäuscht. Sie haben in Diskussionen so getan, als sei eine abseitige Position gar nicht so abseitig. Die Community musste sich dann mit diesen vermeintlich vernünftigen Meinungen auseinandersetzen.» Durch die simulierten Mehrheiten oder Scheindebatten wurde die Community zu «Kompromissen» gezwungen.
Im Jahr 2007 kamen Wikipedianerinnen und Wikipedianer dem Angriff langsam auf die Schliche. Wenige Nutzerinnen und Nutzer auf Wikipedia können auf Anträge aus der Community hin technische Abfragen vornehmen und beispielsweise die IP-Adresse abfragen. So konnten über Jahre hinweg Verbindungen zwischen den Profilen entdeckt werden.
Das ging bis 2010. Dann schien der Spuk vorbei. «Es ist allerdings nicht gesagt, dass die Geschichte dann tatsächlich zu Ende war», sagt Daniel Laufer. Denn es sei nicht klar, warum sie aufgehört haben. «Vielleicht haben sie einen anderen Weg gefunden, das fortzusetzen.»
Gefährdung durch sinkende Nutzerzahlen
Angehörige der Wikipedia-Community haben damals viel Zeit investiert, um diesen Angriff abzuwehren. Allerdings lagen die aktiven Nutzerzahlen in der deutschsprachigen Wikipedia laut Journalist Laufer damals bei rund 10'000 – heute sind es noch etwa 6000.
«Das legt die Frage nahe, was wäre, wenn heute jemand versuchen würde, in diesem Umfang so einen Angriff vorzunehmen? Hätte der heute mehr Erfolg? Oder würden die bestehenden Schutzmassnahmen halten?», so Laufer.
Wie anfällig Wikipedia heute für Desinformation ist, kann Daniel Laufer nicht konkret beantworten. Ihm seien jedoch nur Einzelfälle bekannt, keine Angriffe in der Dimension der Sockenpuppen. Klar sei: «Je stabiler die Community ist, desto besser ist die Wikipedia aufgestellt.»