In Belgrad gibt es Spannungen rund um ein riesiges Wandbild des verurteilten serbischen Kriegsverbrechers Ratko Mladic. Mehrere Hundert Menschen demonstrierten am Dienstag gegen das umstrittene Graffiti, das den Organisator des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 als «Helden» darstellt. Der in Belgrad lebende Journalist Thomas Roser sagt, das Wandbild werde von der Regierung geschützt.
SRF News: Wie nehmen Sie die Auseinandersetzungen um das Wandbild in Belgrad wahr?
Thomas Roser: Als sehr deprimierend. Das Wandbild tauchte im Juli eines Morgens auf, vermutlich als Reaktion darauf, dass die Leugnung des Genozids von Srebrenica in Bosnien unter Strafe gestellt worden war. Das Quartier Brace, in dem das Bild auf eine Häuserwand gemalt wurde, war in den 1990er-Jahren eine der Keimzellen gegen die Kriege und den damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic. Und ausgerechnet hier wird jetzt der Kriegsverbrecher Mladic gefeiert. Man fühlt sich hilf- und machtlos.
Was ist gegen das Wandbild bislang unternommen worden?
Die Bewohner des betroffenen Hauses haben Anzeige gegen Unbekannt erstattet, doch passiert ist nichts, die Behörden reagieren nicht auf Anfragen der Medien. Es wurde bereits mehrmals von Aktivisten übermalt, doch stets wieder von Mladic-Anhängern hergestellt.
Es herrscht der Eindruck vor, dass der Staat das Mladic-Bild billigt und schützt.
Am 9. November, dem Tag des Kampfs gegen den Faschismus, wollte die Jugendinitiative für Menschenrechte das Bild öffentlich übermalen. Doch das serbische Innenministerium verbot die Aktion. Es begründete dies mit möglichen Ausschreitungen, falls Gegendemonstranten auftauchen sollten. Es herrscht aber der starke Eindruck vor, dass der Staat das Mladic-Bild billigt und schützt.
Wer sind die Personen, welche das Wandbild immer wieder herrichten?
Es handelt sich dabei um Anhänger oder Mitglieder von rechtsextremen Organisationen mit Verbindungen zur serbischen Regierung – sie geniessen deren Schutz. Präsident Aleksandar Vucic gehörte selber früher ja auch einer ultranationalistischen Partei an und er setzte sich öffentlich für einen Ratko-Mladic-Boulevard in Belgrad ein.
Verherrlichung von Kriegsverbrechern und Leugnung von Genozid soll zum gesellschaftlichen Konsens gemacht werden.
Mithilfe der Rechtsextremen soll in Serbien offenbar ein Klima geschaffen werden, in dem die Verherrlichung von Kriegsverbrechern und die Leugnung von Genozid zum gesellschaftlichen Konsens gemacht wird. Anders Denkende sollen eingeschüchtert werden.
Was sagt der Streit um das Wandbild in Belgrad über den Umgang Serbiens mit seiner Kriegsvergangenheit aus?
Die aktuellen Machthaber versuchen, die jüngste Vergangenheit Serbiens umzuinterpretieren, indem sie rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher zu Helden stilisieren oder Aggressoren zu Opfern machen. Kriegsverbrechen wie der Genozid von Srebrenica in Bosnien werden verharmlost oder sogar verherrlicht.
Ähnliche Tendenzen gibt es auch in anderen Staaten Ex-Jugoslawiens – das macht eine Aussöhnung so schwierig.
Das wirkt sich auch auf die Gesellschaft auf: Junge Serbinnen und Serben wachsen mit einem völlig einseitigen und selbstgerechten Geschichtsbild auf. Kritische und abweichende Stimmen gibt es immer weniger. Leider gibt es ähnliche Tendenzen auch in anderen Staaten Ex-Jugoslawiens. Das macht die Aussöhnung in der Region so schwierig.
Das Gespräch führte Nina Gygax.