Wahrscheinlich in keinem anderen Land als in Italien kann ein Regierungschef eine Vertrauensabstimmung gewinnen und dennoch zurücktreten müssen. Genau das ist in Rom passiert. Mario Draghi hat zwar die Vertrauensabstimmung siegreich überstanden, aber nur mit 95 Stimmen; theoretisch hätte er 267 Voten erhalten können.
Die Koalitionspartner von rechts, die Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Silvio Berlusconi, hatten den Saal während der Abstimmung verlassen, die Parlamentarier der Cinque Stelle, welche die Regierungskrise ausgelöst hatten, blieben zwar sitzen, enthielten sich aber. Hätten auch sie das Plenum verlassen, wäre nicht einmal das notwendige Quorum der Anwesenden erreicht worden, das für eine gültige Abstimmung notwendig ist. Mario Draghi wurde von seinen Partnern maximal gedemütigt.
Einmalige Chance
Manöver und Intrigen sind nichts Neues unter der politischen Sonne, aber selten waren sie so unverschämt und dumm wie in diesen Tagen in Rom. Italien hat mit 220 Milliarden Euro aus dem Brüsseler Corona-Hilfsfonds die einmalige Chance, das Land von Grund auf zu reformieren. Nicht nur Strassen und Brücken, sondern auch Justiz und Bürokratie.
Mario Draghi war der Mann, der Italien in Brüssel und auf den Finanzmärkten Glaubwürdigkeit verliehen hat. Nicht nur Mario Draghi hat die Vertrauensabstimmung (nicht numerisch, aber politisch) verloren, auch Italien hat seine Glaubwürdigkeit in Brüssel und in der Welt verspielt. Und für Verlässlichkeit stand Draghi, auch wenn er allein natürlich nicht der Retter Italiens gewesen wäre.
Im schlechtesten Moment in die Krise
Wann, wenn nicht jetzt wäre die Gelegenheit für eine Erneuerung Italiens gewesen? Und die zweite grosse Frage lautet: Kann man Italien politisch überhaupt je vertrauen, wenn es ausgerechnet jetzt mutwillig eine politische Krise auslöst?
Das politische Rom hat die vielleicht beste Gelegenheit seit langem für Italien verstreichen lassen und das Land im schlechtesten Moment in eine Krise geführt. Brüssel hat Projekte für 46 Milliarden Euro Corona-Hilfe im laufenden Jahr bereits bewilligt, die Zustimmung für weitere 21 Milliarden stehen aber noch aus. Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Inflation und die Dürre hätten als Herausforderung gereicht; nun drohen auch politische Instabilität und eine noch grössere Verschuldung durch die Reaktion auf den Finanzmärkten.
Wie weiter?
Wer soll das Land jetzt führen? Matteo Salvini, Chef der Lega und Giuseppe Conte, Vorsitzender der Cinque Stelle, haben nicht erst jetzt, aber vor allem in diesen Tagen, bewiesen, dass sie als Regierungschefs untauglich sind. Sie haben die Regierung in diesem kritischen Moment ausschliesslich aus wahltaktischen Gründen gestürzt.
Politik als Spiel und Selbstzweck. Italien zahlt dafür einen sehr hohen Preis. Und was kann man von einer neuen allfälligen Regierung aus den Rechtsparteien Lega, Forza Italia und der rechtsextremen Fratelli d’Italia erwarten?