2014 war Matteo Renzi mit nur 39 Jahren der jüngste Regierungschef der italienischen Geschichte. Ein Superlativ. Dessen war sich Renzi stets bewusst. Bescheiden war und ist er nie. Kaum im Amt versprach er jeden Monat eine grosse Reform: Arbeitsrecht, öffentliche Verwaltung, Steuern – alles wollte Renzi verbessern, subito.
Sicher, sie kamen, Renzis Reformen. Aber sie führten zu den in Italien üblichen, episch langen Debatten, sie waren erdauert, erlitten. «La buona scuola» – seine Schulreform, war eine Zangengeburt.
Um für die «gute Schule» zu werben, posierte Renzi in einem Videoclip vor einer Schiefertafel. Renzi bat um fünf Minuten Aufmerksamkeit, um dann – typisch Renzi – einen 16-minütigen Monolog zu halten. Die Schulreform kam, war aber kein grosser Wurf.
Was Renzi gegen alle Widerstände durchboxte, waren die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Und wirklich tiefe Spuren hinterliess Renzis Reform des Arbeitsrechts: der «Jobs Act». Er liberalisierte den Arbeitsmarkt. Das schaffte neue Stellen, aber die waren meist ohne Verträge, mit minimer sozialer Absicherung, argwöhnten seine Kritiker. Und von diesen gab es immer mehr, auch in seiner eigenen sozialdemokratischen Partei.
Renzi brach der linke Parteiflügel weitgehend weg. Doch das kümmerte Renzi, der stets in der Mitte politisierte, wenig. Schliesslich stürzte er nicht wegen der vielen Parteiaustritte, sondern weil er sich selbst überschätzte. Renzi hatte die Reform der italienischen Verfassung, die Entmachtung der zweiten Parlamentskammer, des Senats, an sein eigenes Schicksal gebunden.
Vor der dafür nötigen Volksabstimmung sagte er den Italienerinnen und Italienern: wenn ihr Nein stimmt, gehe ich. Und genau so kam es: Renzi verlor und trat 2016 zurück. Er versuchte erst gar nicht, seine Enttäuschung zu verbergen. Renzi sprach von Wut, Enttäuschung, Bitterkeit, Traurigkeit.
Er, der den Senat am liebsten abgeschafft hätte, wurde selbst Senator. Und für drei Jahre wurde es still um ihn. Erst im Sommer 2019 drängte er ins Rampenlicht zurück. In dem stand damals vor allem einer: Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini.
Selbsternannter Retter der Republik
Salvini forderte für sich umfassende Vollmachten – pieni poteri. Für Renzi war das ein Weckruf. Innert kürzester Zeit gelang ihm ein Kunststück: Er fügte die bisher verfeindete Bewegung der Cinque Stelle und die Sozialdemokraten zu einer Koalition gegen Salvini zusammen: «Wir haben Italien vor Matteo Salvini gerettet», brüstete sich Renzi vor seinen Anhängern.
Das war aber nicht alles: Renzi trat damals auch aus dem sozialdemokratischen Partito Democratico aus. Und nahm einen Teil der Parlamentarier kurzerhand mit. Um sofort über eine eigene Partei zu verfügen, die nie eine Wahl gewonnen hatte, ohne die die Regierung Conte aber über keine Mehrheit verfügte.
Die Niederlage von damals wirkt nach
Renzi hatte sich das perfekte Druckmittel geschaffen. Und dieses setzt er nun ein, um Premierminister Conte in die Knie zu zwingen. Für diese Regierungskrise gibt es inhaltliche Gründe, gewiss, vorab den Streit um die Milliardenhilfe der EU.
Und trotzdem will Renzi die Krise. Man hat den Eindruck, nicht nur aus politischen, sondern auch aus persönlichen Gründen, aufgrund seiner nie verdauten Niederlage bei der Verfassungsabstimmung. Was waren schon wieder die Worte bei seinem Rücktritt: Wut, Enttäuschung, Bitterkeit, Traurigkeit.