SRF News: Wie erklären Sie sich die Rücktritte?
Charles Liebherr: Der Vorwurf steht im Raum, dass die Partei von Bayrou persönliche Mitarbeiter von EU-Parlamentariern für ihre Parteizentrale arbeiten liess. Die französische Justiz hat Vorabklärungen dazu eingeleitet. Die Vorwürfe gehen auf eine Klage zurück, die eine Parlamentarierin des «Front National» im EU-Parlament eingereicht hatte, die sich wegen dem Gleichen rechtfertigen musste. Die Minister in Macrons Regierung sagen nun, sie wollen sich in aller Freiheit gegen die Vorwürfe verteidigen. Darum ziehen sie sich aus der Regierung zurück.
Alle zurückgetretenen Minister gehören der liberalkonservativen Partei «Modem» an. Weshalb hat diese Partei so grosse Probleme?
Die Partei von Bayrou hat in erster Linie ein politisches Glaubwürdigkeitsproblem. Juristisch ist nichts bewiesen. «Modem» wurde aber zu einer politischen Hypothek in der aktuellen Regierung. Sie hatte ähnlich wie Macrons Partei «En Marche» die Beispielhaftigkeit einer neuen Generation von Politikern als oberste Maxime in der neuen Regierung definiert. Da passen die Vorwürfe gar nicht. Deshalb blieb den Ministern nur der Rücktritt, um glaubwürdig zu bleiben.
Die grosse offene Frage ist, welchen Platz «Modem» in der neuen Regierung noch hat?
Was bedeuten die Rücktritte für Macrons Vorhaben, die Regierung umzubilden?
Es ist schon jetzt klar, dass diese Regierungsumbildung deutlich politischer ausfallen wird als geplant. Ursprünglich war die Rede von einer kleinen Regierungsumbildung mit kleinen und eher technischen Ergänzungen, die die Arbeit der Regierung verbessern sollen. Jetzt werden die Ergebnisse der Parlamentswahlen stärker in die Regierungsbildung einfliessen müssen. Wahrscheinlich werden noch mehr Minister aus dem bürgerlichen Lager dazukommen, die gewillt sind mit Macron und der Regierung von Ministerpräsident Éduard Philippe zusammenzuarbeiten. Die grosse offene Frage ist, welchen Platz Modem in der neuen Regierung noch hat?
Kann es sein, dass die Rücktritte dem Präsidenten gelegen kommen?
Es kommt Präsident Macron sehr gelegen. «Modem», namentlich Justizminister Bayrou, ist zu einer Belastung für ihn und seine Regierung geworden. Der Justizminister hat ein wichtiges Wahlversprechen von Macron umzusetzen: ein neues Anti-Korruptionsgesetz für die nationalen Parlamentarier. Dass er durch die Vorwürfe genau in diesen Fragen zu einer Angriffsfläche geworden ist, passt schlecht dazu. Macron hat jetzt wider Erwarten fast freie Hand, seine Regierung umzubauen.
Das Gespräch führte Miriam Knecht.