Vor dem deutschen Konsulat in Istanbul sitzt eine elegant gekleidete Geschäftsfrau auf einem Blumenkübel und wartet. Alle ein, zwei Stunden steht sie auf, geht über die Gasse zum Eingang der Visastelle und spricht die Wachen am Tor an.
Doch die schütteln den Kopf. Ohne Termin kommt sie hier nicht rein, das sei ihr schon klar, sagt sie. Doch sie wisse keinen anderen Weg mehr. Als Vertriebsleiterin für eine Zulieferfirma der Autoindustrie im westtürkischen Bursa müsse sie in zwei Tagen bei einer wichtigen Fachmesse in Frankfurt sein, erzählt sie.
Doch seit Wochen warte sie vergeblich auf ihr Visum. Weil ihre E-Mails und Anrufe vom Konsulat unbeantwortet blieben, sei sie nun die 150 Kilometer nach Istanbul gekommen, um persönlich nachzufragen.
Diesmal kein Visum
«Es wäre eine Katastrophe für mein Unternehmen, wenn ich nicht zur Messe könnte», sagt sie. Die Firma ist dort angemeldet, hat einen Stand reserviert und bezahlt sowie Paletten voller Ware hingeschickt.
Hotelzimmer und Flüge sind bezahlt, Termine mit Firmen, Vertretern aus acht Ländern verabredet – doch nun sieht es so aus, als ob der Messestand leer bleiben und die Termine abgesagt werden müssten.
Seit Jahren reise sie zu Messen im Schengenraum, erzählt die Vertriebsleiterin. Normalerweise werde das Visum in drei Tagen erteilt. Nun aber kenne sie Kollegen in der Branche, die seit sechs Wochen auf eine Antwort warteten.
Andere erhielten einen ablehnenden Bescheid. Wie sie beklagen viele Türken, dass es immer schwerer werde, ein Visum für den Schengenraum zu bekommen – egal ob geschäftlich oder privat.
Politisches Kalkül der EU?
Die türkische Regierung argwöhnt, dass die langen Wartezeiten und hohen Ablehnungsquoten einer politischen Absicht der Europäer geschuldet seien, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan damit vor der Wahl im kommenden Jahr schaden wollten.
Aussenminister Mevlüt Cavusoglu will jetzt die europäischen Botschafter einbestellen, um seinen Protest anzumelden. Wenn sich dann nichts bewege, werde die Türkei Gegenmassnahmen ergreifen, sagte der Minister, ohne diese zu konkretisieren.
Die EU-Botschaft in Ankara wies die Vorwürfe zurück. Es gebe keine politischen Gründe für die Visaentscheide, sagte Botschafter Nikolas Meyer-Landrut. Viele Anträge aus der Türkei würden mit unvollständigen oder falschen Angaben eingereicht.
Türken wollen Asyl in Westeuropa
Nach Einschätzung türkischer EU-Experten sind die europäischen Konsulate bei der Visavergabe vorsichtiger geworden, weil immer mehr Türken vor der Wirtschaftskrise und politischen Repressionen in ihrem Land fliehen wollen und in Europa politisches Asyl beantragen.
Am deutschen Konsulat in Istanbul naht der Dienstschluss und die Geschäftsfrau ist nicht eingelassen worden. Ihr Messestand werde wohl leer bleiben, befürchtet die Vertriebschefin.
Auch die Gebühren für das Visum habe sie nun vergeblich bezahlt, denn die bekommt sie nicht zurück. Selbst, wenn ihr Antrag zurückgewiesen wird. 80 Euro beträgt die Bearbeitungsgebühr, das entspricht einem Drittel des monatlichen Mindestlohns in der Türkei.
Dreieinhalb Millionen Euro bezahlten türkische Antragsteller im vergangenen Jahr für abgelehnte Visumsanträge. Und der Unmut über die europäische Visapraxis steigt