Der Schweizer Kinderarzt Beat Richner war das Gesicht der Kantha Bopha Kinderspitäler von Kambodscha. 1974 war er zum ersten Mal als Arzt im Land. Doch mit der Machtübernahme der Roten Khmer ein Jahr später musste er fliehen.
Nur drei Kinderärzte überlebten das Schreckensregime. Richner plagte ein Leben lang das schlechte Gewissen, dass er seine Kollegen im Stich gelassen hatte. Auch deshalb kehrte er nach Kambodscha zurück und baute in den letzten 25 Jahren fünf Spitäler auf.
Neurologisches Hirnleiden stoppt Richner
Sie sind heute Universitätskliniken, in denen 2500 Mitarbeiter arbeiten und in denen vier Fünftel aller kambodschanischen Kinder medizinisch betreut werden. In Richners Zeit wurden mehr als 15 Millionen Kinder ambulant und 1,7 Millionen stationär behandelt.
Doch seit Februar ist klar, Richner leidet an einem seltenen, neurologischen Hirnleiden und wird nie mehr nach Kambodscha zurückkehren können. In seinem Kinderspital in Siem Reap in der grossen Aula gab Richner früher jeden Samstag ein Cello-Konzert, um so Geld für seine Spitäler zu sammeln.
«Spendet Blut und Geld»
Bereits vor einem Jahr setzte Beat Richner seinen Cellobogen schwer atmend auf sein Instrument bei seinem samstäglichen Konzert. Mehrfach wiederholte er, was er bereits kurz vorher gesagt hatte.
Er forderte die Jungen auf, Blut zu spenden. Die Älteren sollen Geld und die Mittelalterlichen beides spenden. Er sprach vom vergessenen Leid der kambodschanischen Kindern.
Auf der Bühne steht ein leerer Stuhl
Sieben Uhr früh, knapp ein Jahr nach Richners letztem Konzert. Die Aula in Siem Reap ist erneut gefüllt, diesmal mit 700 Ärztinnen, Ärzten und Pflegepersonal. Die Krankeneintritte vom Vortag werden verlesen. Auf der Bühne steht ein leerer Stuhl. Es ist jener von Richner.
«Er war unser Held. Er hat so viele Kinder gerettet. Wir versprechen ihm, zu seinen Ehren, so hart und engagiert weiter zu arbeiten, wie er es uns vorgelebt hat», sagt Schwester Kimney.
In einem Regierungsspital wissen sie nicht, was sie tun sollen.
In der Abteilung für Frühgeburten liegen Winzlinge verkabelt auf Betten. In einem anderen Raum hält Meak Sany ihr Baby fest im Arm. Sie hat eben geboren. Sie sei ins Kantha Bopha Spital gekommen, weil sie hier kostenlos behandelt werde, sagt die Eisverkäuferin.
«In einem Regierungsspital wissen die Angestellten nicht, was sie tun sollen, wenn es Probleme gibt. Diesen Leuten hier aber traue ich», so Sany.
«Alle werden gleich behandelt»
Jay Chantana, der kambodschanische Direktor des Spitals, führt durch das überfüllte Spital. 900 Betten gibt es hier und noch mehr Patientinnen und Patienten. Einige liegen auf Matten am Boden. Doch es ist blitzblank und die hunderten von Anwesenden warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Jeder wisse, dass hier niemand abgewiesen werde, sagt Dr. Chantana.
«Dr. Richner war sehr pflichtbewusst, diszipliniert und er hatte einen harten Kopf. Er hat alles getan, um den Armen zu helfen. Unser Spital ist für alle, auch die Reichen, aber alle werden gleich behandelt», so Chantana. «Es gibt keine Korruption, niemand muss bezahlen und wir arbeiten hart. Richner ist jetzt bereits seit neun Monaten weg, aber wir führen das Spital genau in seinem Sinne weiter. Das schätzt sogar die Regierung.»
«Beziehungen haben sich grundlegend verbessert»
Und das war nicht immer so. Richner wurde von der Regierung als Staat im Staat gefürchtet. Zudem kämpfte er jahrelang gegen die Weltgesundheitsorganisation und auch um Unterstützung der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).
Denn der heute 70-Jährige war der Meinung, dass auch die Ärmsten Anrecht auf die beste Medizin und die besten Geräte hatten. Eine Ansicht die von den grossen Organisationen nicht geteilt wurde, weil sie nicht als nachhaltig erachtet wurde. Die Beziehung zu diesen Organisationen habe sich nun zum Glück grundlegend verbessert, sagt Peter Studer, CEO des Stiftungsrats, Kinderarzt und Richners Begleiter der ersten Stunde.
Der Erfolg hat uns Recht gegeben.
«Der Erfolg hat uns Recht gegeben. Die Spitäler sind zu wichtig geworden im Land, ‹too big zu fail› und ein ganz wichtiger Faktor, dass die Kinder- und Müttersterblichkeit im Land reduziert werden konnte», sagt Studer.
42 Millionen Franken kostet der Spitalbetrieb der fünf Spitäler heute pro Jahr. Sie kommen zu Teilen von der kambodschanischen Regierung, aus Ticketeinnahmen der weltberühmten Tempelanlagen von Angkor Wat und der DEZA. Etwas vom Wichtigsten sind jedoch die Spenderinnen und Spender aus der Schweiz. Sie geben zwei Drittel aller Gelder.
Beat Richner hat ein Leben lang unermüdlich mit seinem Cello Geld für die kambodschanischen Kinder eingespielt. Heute erinnert er sich weder daran, noch an Kambodscha. Er wird in der Schweiz gepflegt und lebt in einer anderen Welt. Doch auch wenn sein Cello nun verstummt ist, sein bedeutendes Lebenswerk lebt weiter.