Ist der neue italienische Regierungschef zum dritten Mal der alte? Ob Giuseppe Conte wieder zum Regierungschef ernannt wird, könnte heute entschieden werden, wenn Staatspräsident Sergio Mattarella über den Stand der Verhandlungen informiert wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei Ex-Regierungschef Matteo Renzi – und dies, obwohl seine Kleinstpartei «Italia Viva» gerade einmal zwei Prozent der Stimmen bei den letzten Parlamentswahlen holte.
SRF News: Wie kann es sein, dass Renzi als Chef einer 2-Prozent-Partei alle vor sich hertreibt?
Franco Battel: Er ist das sprichwörtliche Zünglein an der Waage. Ohne Renzi und seine Parlamentarierinnen und Parlamentarier hat Giuseppe Conte keine Mehrheit.
Dieselben Parteien, mit denen er jetzt wieder eine Regierung bilden will, hat Renzi ja erst in die aktuelle Krise gestürzt. Er war es, der die letzte Koalition platzen liess. Wie gut sind die Karten, die Renzi jetzt in der Hand hat?
Die sind relativ gut. Conte hatte ja in den letzten Wochen geradezu verzweifelt versucht, eine neue Mehrheit zu finden, indem er im Parlament vor allem kleine Mitteparteien umwarb. Auf diese Weise wollte er jene Stimmen, die Renzi ihm entzogen hatte, wettmachen. Nur ist das Conte in den letzten Wochen nicht gelungen. Es gibt in der politischen Mitte einfach nicht genügend Stimmen, um Renzi zu neutralisieren. Und darum schätze ich, ist Renzis Einfluss heute sogar noch grösser geworden.
Renzi fordert viel, pokert hoch. Kann es sein, dass er es übertreibt und es zu Neuwahlen kommt – und er dann als grosser Verlierer dasteht?
Das könnte tatsächlich passieren. Alle Umfragen sagen ihm und seiner Kleinpartei bei Neuwahlen ein sehr bescheidenes Resultat voraus. Warum er so hoch pokert, darüber kann man spekulieren. Diesem Knatsch liegen auch inhaltliche Differenzen zugrunde. Renzi will zum Beispiel das höhere Sozialgeld, den «Reddito di Cittadinanza» überdenken. Das will das Movimento Cinque Stelle, die grösste der Regierungsparteien, explizit nicht.
Viele Leute sagen, Renzi habe noch viele offene Rechnungen zu begleichen aus jener Zeit, als er selber Premierminister war.
Renzi möchte auch, dass Italien sich noch mehr Geld von der EU ausleiht, um das Gesundheitswesen zu reformieren. Auch das lehnt die 5-Sterne-Bewegung ab, weil sie sich nicht noch stärker von der EU abhängig machen will. Renzi möchte auch, dass Italien schnell in die Infrastruktur investiert. Und auch da ist das Movimento Cinque Stelle sehr skeptisch.
Was treibt Renzi an zu diesem Hoch-Risiko-Spiel?
Viele Leute sagen, Renzi habe noch viele offene Rechnungen zu begleichen aus jener Zeit, als er selber Premierminister war. Renzi war ja gescheitert, nachdem er in einer Volksabstimmung unterlag. Einer der Treiber dieser Niederlage damals war das Movimento Cinque Stelle, das Renzis Reform verhindern wollte. Und viele sagen nun, Renzi schiele eben auch auf Revanche.
Nun soll eine dritte Regierung unter Conte möglich sein. Dabei hiess es in den letzten Wochen oft: «Mit dem nie wieder»...
Das darf man in Italien eigentlich nie zum Nennwert nehmen. Lega und Cinque Stelle hatten das 2018 gesagt und regierten dann doch zusammen. Der Partito Democratico und Cinque Stelle sagten 2019 genau dasselbe. Solche Aussagen haben hier in Italien wirklich eine kurze Halbwertszeit.
Interessiert die Italiener dieser Regierungsschacher mitten in der Coronakrise überhaupt?
Man kann sagen: Es interessiert wenig und ärgert eher die Leute. Es führt dazu, dass die Politikverdrossenheit in Italien weiter zunimmt. Das grösste Risiko nimmt sicher Renzi auf sich, denn er wird für diese Krise verantwortlich gemacht.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.