SRF News: Wie leben die aus Burma geflohenen Rohingya in Bangladesch?
Silke Diettrich: Leben ist ein zu gutes Wort. Im Moment ist dort noch alles völlig unkoordiniert und es herrscht Chaos. Die Menschen leben zum Teil am Strassenrand, sie sitzen da und warten auf Hilfe. Viele haben noch keine Zelte bekommen und sind dem Monsun-Regen wie auch der Hitze ausgesetzt. Ein Bild hat sich bei mir eingebrannt: Menschen, die nur damit beschäftigt sind, irgendetwas zum Essen, neue Kleidung und sauberes Wasser zu ergattern. Es ist sehr schwierig.
Hat die Bangladescher Regierung Schritte eingeleitet, um das Problem zu lösen?
Sie versucht alles Menschenmögliche, aber weil innert dreier Wochen mehr als 400'000 Menschen in Bangladesch angekommen sind, ist das sehr schwierig. Und es kommen immer noch mehr Menschen an. Ich war am Wochenende in Bangladesch und sah Menschen über die Flüsse und durch die Wälder kommen. Jetzt versuchen die Behörden von Bangladesch, das Ganze erst einmal mit Polizisten zu koordinieren. Auch Militär steht im Einsatz, um die Flüchtlinge zu registrieren und zu beruhigen.
Die Behörden haben Angst, dass Panik ausbrechen könnte, denn die Menschen sind ausgehungert.
Die Behörden haben natürlich auch Angst, dass Panik ausbrechen könnte, denn die Menschen sind ausgehungert. Sobald ein Konvoi mit Essen ankommt, schmeissen sie sich drauf – es sieht furchtbar aus. Sie heben die Hände hoch und wollen auf die Lastwagen klettern. Jeder versucht, irgendetwas zu ergattern. Inzwischen haben die Behörden zwei Hektar Land roden lassen, um provisorische Flüchtlingszelte aufzubauen. Aber das geht natürlich alles nicht von heute auf morgen.
Was erzählen die Rohingya von ihrer Flucht?
Sie hätten versucht, sich nachts zu verstecken und tagsüber weiter zu fliehen, sagen sie. Viel schlimmer sind aber ihre Berichte von den Erlebnissen in ihren eigenen Dörfern in Burma. Und die meisten gleichen sich. Die Geflohenen erzählen davon, dass Soldaten gekommen seien, das Dorf umzingelt und einfach drauflos geschossen hätten. Ich selbst habe Kinder mit Schusswunden gesehen: Die Nase zerschossen, die Augen.
Ich selbst habe Kinder mit Schusswunden gesehen: Die Nase zerschossen, die Augen.
Ich habe auch Menschen gesehen, die auf Landminen traten und keine Füsse und Arme mehr haben, die erblindet sind. Sie erzählen, die Soldaten hätten ihre Häuser angezündet. Die Frauen sagen ganz vorsichtig, sie seien belästigt worden – eine Vergewaltigung würden sie nie direkt aussprechen. Es sind sehr erschreckende Geschichten, die jeder da zu erzählen hat.
Wurden die Fluchtwege der Rohingya denn vermint?
Ich habe drei Minenopfer gesehen. Zwei von ihnen erzählten mir, dass es direkt an der Grenze Bomben im Boden hatte – also Landminen. Ein anderer sagte, er sei am Tag, nachdem Soldaten sein Dorf heimgesucht hätten, am Dorfrand auf etwas getreten, das dann explodierte.
Man muss wahrscheinlich davon ausgehen, dass in Burma Landminen oder Ähnliches eingesetzt werden.
Die drei Minenopfer wurden an unterschiedlichen Orten verletzt und liegen in verschiedenen Spitälern. Sie machten ihre Aussagen also unabhängig voneinander. Daher muss man wahrscheinlich davon ausgehen, dass in Burma Landminen oder Ähnliches eingesetzt werden.
Wie ist die Stimmung der Bangladescher gegenüber den Rohingya?
Es gibt unglaublich viele Private, die am Strassenrand stehen und den Flüchtlingen entweder Geld zustecken oder ihnen Wasser geben. Einige haben auch Rohingya zu Hause aufgenommen und sie für ein paar Tage versorgt.
Einig sind sich in Bangladesch alle: Die Rohingya müssten wieder zurück nach Burma.
Es gibt aber auch Bangladescher, die eine Überbevölkerung befürchten. Sie seien selbst nicht so viele, und jetzt kämen vielleicht eine Million Flüchtlinge, sagen sie. Einig sind sich aber alle, dass die Rohingya wieder zurück nach Burma müssten.
Burma schottet das Rohingya-Gebiet ab. Hat irgendjemand Zugang zu den zurückgebliebenen Rohingya?
Ich habe von einem Journalisten gehört, der es geschafft hat. Allerdings wurde er von der burmesischen Regierung begleitet. Es gibt auch Satelliten-Aufnahmen von brennenden Dörfern. Aber ich konnte den dichten Qualm und Rauch auch von Bangladesch aus sehen. Das war kein normales Feuer. Man hat gesehen, dass da vermutlich Dörfer brennen. Aber es gibt niemanden, der uns direkt von dort berichten könnte.
Es gibt niemanden, der uns direkt von den Rohingya-Gebieten in Burma berichten könnte.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.