«Mother of Humanity» (engl. für: Mutter der Menschlichkeit) steht etwa alle 200 Meter auf grossen Plakaten über der Strasse, die zu den Flüchtlingslagern führt. Sie zeigen Premierministerin Sheikh Hasina beim Besuch im Kutupalong-Flüchtlingslager. Sie nimmt mit wohlwollender Miene ein Bad in der Menge oder gibt einem Kind etwas Reis zu essen. Die Strasse führt an ärmlichen Blechhäusern, die sich nur wenig von den Hütten in den Lagern unterscheiden, vorbei.
«Mother of Humanity» ist eine Inszenierung, natürlich. Aber eine, die funktioniert. Sheikh Hasina hatte schnell erkannt, dass sie den massiven Flüchtlingsstrom nicht aufhalten kann. Deshalb öffnete sie die Grenze. Dafür wurde sie in Bangladesch bereits als potentielle Kandidatin für den Friedensnobelpreis gehandelt.
Einheimische kritisieren die Flüchtlinge
In der Tat wären wohl tausende Rohingya gestorben, hätte ihnen Bangladesch nicht schnelle Zuflucht gewährt. «Wir sind Bangladesch auf immer dankbar», sagt Ruhul Amin, ein Rohingya-Anführer im Flüchtlingslager Kutupalong. Er würdigt die lokale Bevölkerung, die sie sogleich mit Kleidern und Nahrung versorgte.
Sie machen unsere Bäume zu Brennholz. Wo heute ihre Lager stehen, waren früher Wald oder Plantagen. Davon lebten wir.
Doch diese Solidarität ist in den Hintergrund gerückt. In Ukhia, einer Kleinstadt nahe der Camps, protestieren mehrere hundert Bangladescher gegen die Flüchtlinge. «Sie machen unsere Bäume zu Brennholz. Wo heute ihre Lager stehen, waren früher Wald oder Plantagen. Davon lebten wir. Nun aber besetzen die Rohingya unser Land», sagt ein Mann.
Riesengrosse Flüchtlingslager
Kutupalong ist inzwischen zum grössten Flüchtlingslager der Welt angewachsen, knapp 600’000 Menschen leben allein dort. 800’000 Rohingya befinden sich insgesamt in der Region. Das strapaziert die lokale Bevölkerung und schürt Ängste. Bereits wurden drei Menschen in Ukhia umgebracht, meint ein anderer Demonstrant und beschuldigt die Rohingya. Zudem sei die Strasse nach Ukhia dauernd verstopft.
Tatsächlich ist der Stau unübersehbar. An Checkpoints prüft die Armee Identitätskarten, denn die Rohingya dürfen die Flüchtlingslager nicht verlassen. Doch das schränkt auch die Mobilität der lokalen Bevölkerung ein. Zudem fahren täglich hunderte UNO-Jeeps und Lieferwagen der verschiedensten Hilfsorganisationen durch Ukhia, um Hilfsgüter in die Lager zu bringen.
Die Leute sagen: Ich bin arm, arbeite hart und erhalte nichts. Die Leute im Lager sind auch arm, arbeiten nicht, und erhalten dennoch zu essen.
«Auch das schürt die Ressentiments der Bevölkerung», sagt Afsan Chowdhury, ein politischer Beobachter, der sich intensiv mit der ländlichen Bevölkerung Bangladeschs befasst hat: «Die Leute sagen sich: Ich bin arm, arbeite hart und erhalte nichts. Die Leute im Lager sind auch arm, arbeiten nicht, und erhalten dennoch zu essen», erklärt Chowdhury.
Flüchtlinge verkaufen UNO-Lebensmittelhilfe
Am Rande der Flüchtlingscamps sieht man vereinzelt Rohingya die Reisrationen verkaufen, die sie von der UNO erhalten. Sie versuchen so etwas Geld zu verdienen, um auf dem lokalen Markt einen Fisch oder sonst was kaufen zu können. Doch die Reisbauern in Ukhia sind aufgebracht über diese Konkurrenz. Die Flüchtlinge verzerrten den Markt, sagen sie.
«Das UNHCR ist sich des Problems bewusst», sagt Sprecherin Caroline Gluck. «Die Hilfsorganisationen versuchen, auch die lokale Bevölkerung zu unterstützen», sagt sie. Mit Jobs zu Beispiel. Doch könne man nicht alle berücksichtigen.
Rohingya sind das Stadtgespräch
Nicht nur in der näheren Umgebung der Lager, auch in der Stadt, Cox’s Bazar regt sich der Unmut. Auf dem Markt klagen die Leute darüber, dass Zwiebeln in Cox’s Bazar mittlerweile teurer seien als in der Hauptstadt Dhaka.
Früher kostete das Kilo 50 Taka, heute seien es 70, klagt dieser Ladenbesitzer. Sein Nachbar erwidert: «Was soll’s, wenn du 50 Taka für Zwiebeln bezahlen kannst, kannst du auch 70 bezahlen.»
Die Rohingya sind in Cox’s Bazar das Stadtgespräch. «Genug ist genug, die Zeit ist nun reif, dass sie nach Burma zurückkehren», sagt auch Reiseführer Mizanur Rahman Milki.
Cox’s Bazar hat einen langen Naturstrand und ist ein beliebtes Ausflugsziel für Lokaltouristen. Milki fürchtet ums Geschäft, falls die Flüchtlingskrise noch länger andauert.
«Sie kommen wegen der Unterstützung»
Dass eine Rückkehr im Moment schlecht möglich ist, weil noch immer Rohingya aus Burma flüchten, lässt er nicht gelten. «In Burma gibt es doch kein Problem mehr. Sie kommen nur, weil sie hier von den NGO unterstützt werden und dort nicht. Das ist der Grund!», sagt Milki.
Ähnlich klingt es auch in anderen Städten, in Teknaf, Chittagong oder Noakhali etwa. Das Unwissen über das, was genau in der Provinz Rakhine in Burma passiert, lässt Raum für Spekulationen.
Vorbei mit der Gastfreundschaft?
Die öffentliche Meinung in Bangladesch scheint zu kippen. «Premierministerin Sheikh Hasina muss ihre Politik anpassen», glaubt Chaudhry Rafiqul Abrar von der Dhaka Universität. Denn dieses Jahr ist ein Wahljahr: «Idealerweise möchte die Regierung etwas Rückführung präsentieren, um den Vorwurf abzuwehren, sie habe das Flüchtlingsproblem nicht im Griff», sagt Abrar.
So lässt sich auch das Rückführungsabkommen von Bangladesch und Burma lesen. Zwar ist darin von freiwilliger Rückkehr die Rede, doch genau davor fürchtet man sich im Lager Kutupalong: «Sie können dich auch zwingen, das Formular zu unterschreiben, auf dem du bestätigst, dass du freiwillig zurückkehrst», klagt dieser Rohingya in einem Teeladen im Flüchtlingslager. Nervös schaut er um sich.
Sie können dich auch zwingen, das Formular zu unterschreiben, auf dem du bestätigst, dass du freiwillig zurückkehrst.
Er weiss, dass er das nicht sagen darf. Der Geheimdienst von Bangladesch ist auch in den Lagern präsent. Der Flüchtling spricht aus Erfahrung. Bereits 1995 sei er zur «freiwilligen» Rückkehr nach Burma gezwungen worden. Er sei festgehalten worden, bis er unterschrieben habe, sagt er.
Auch die «Mother of Humanity» will wiedergewählt werden
1995 war nicht Sheikh Hasina an der Macht, und die Zeiten haben sich geändert, 1995 ist nicht 2018. Doch um sich weiterhin als die starke Premierministerin des Landes präsentieren zu können, muss Sheikh Hasina nun beweisen, dass sie nicht nur ein grosses Herz für die Flüchtlinge hat, sondern auch mit den damit verbundenen Problemen fertig wird. Auch die Menschlichkeit einer Mother of Humanity stösst spätestens dann an Grenzen, wenn eine Wiederwahl gefährdet ist.