Mit dem Sieg der syrischen Armee in Ost-Aleppo hat sich das Blatt in Syrien gewendet. Die Truppen Baschar al-Assads kontrollieren mit russischer und iranischer Hilfe weite Teile des Landes.
Eine Resolution des UNO-Sicherheitsrats wird von Russland blockiert. Der russische Präsident Wladimir Putin stellt dafür regionale Friedensgespräche in Aussicht. Eine besondere Rolle soll dabei die Türkei spielen, die seit August militärisch in Nord-Syrien präsent ist.
SRF: Die Türkei hat eine besondere Rolle in Syrien. Welche Interessen vertritt das Land dort?
Reinhard Baumgarten: Ankara will den Einfluss der syrischen Kurden eindämmen. Offiziell geht es Ankara auch darum, die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen. Diese Terrormiliz hat etliche Anschläge hier in der Türkei verübt und ist eine Gefahr für Ankara.
Präsident Erdogan sagte, dass die Türkei keine territorialen Interessen in Syrien habe. Stimmt das?
Das weiss man nicht genau. Erdogan streut unheimlich viel Unsicherheit. Das ist Teil seiner Politik. So ist das auch mit dem jetzigen Flirt mit Putin. Das ist im Grunde genommen purer Pragmatismus.
Erdogan weiss aber aus der Geschichte heraus, dass Russland eigentlich der Erzfeind der Türkei ist.
Ist die türkische Aussenpolitik nicht gescheitert?
Der türkische Anspruch bestand darin, mit allen türkischen Nachbarn in Konsens und Frieden zu leben. Mit Armenien hat sich das Land überworfen. Mit Griechenland gibt es Sticheleien, in Syrien herrscht Bürgerkrieg. Iran ist einer der grossen Gegenspieler von Ankara, gerade im Syrien-Konflikt. Insofern ist die türkische Aussenpolitik gescheitert.
Präsident Erdogan wollte ursprünglich den syrischen Machthaber zu Fall bringen.
Das ist immer noch das türkische Ziel. Erdogan wurde dann allerdings von Moskau kritisiert, als er sich an einer Konferenz entsprechend äusserte. Daraufhin sagte er, dass es gar nicht so gemeint gewesen sei.
Ich unterstelle Erdogan, dass er immer noch findet: Assad muss weg.
Ankara hat ja auf der Seite der Rebellen in Syrien eingegriffen. Hat Ankara die Rebellen in Aleppo im Stich gelassen?
Es kann gut sein, dass bestimmte Rebellengruppen, die auch in Aleppo kämpften, aufgrund von Absprachen zwischen Putin und Erdogan nicht mehr von der Türkei unterstützt wurden. Denn der Widerstand in Aleppo ist sehr schnell zusammengebrochen.
Ankara unterstützt aber weiterhin Rebellengruppen in Syrien. Das macht die Lage unübersichtlich.
Nun gibt es seitens der Rebellen das Gerücht, dass zwischen Moskau und Ankara schon seit längerem ein Pakt besteht. Wie glaubhaft ist das?
Es gibt einen grossen Sieger, der heisst Putin. Der zweite grosse Sieger heisst Baschar al-Assad. Der Pakt zwischen Ankara und Moskau könnte darin bestehen, dass Moskau die Türken in diesem Korridor, den die türkische Armee dort zu schaffen versucht, gewähren lässt. Und dass Ankara im Gegenzug bei Aleppo die Augen zudrückt, denn wir haben keine massive Kritik von Erdogan an diesem wirklich brutalen und menschenverachtendem Vorgehen Moskaus und Teherans gehört. Normalerweise schimpft Erdogan, gerade wenn es um Menschlichkeit geht. Insofern denke ich schon, dass es eine Absprache gibt.
Wir haben bisher nicht über die USA gesprochen. Ist das symptomatisch?
Es insofern nicht symptomatisch, als es zwischen Ankara und Washington eine ganze Reihe von Missverständnissen gibt, die zum Teil gravierend sind. Es hängt stark davon ab, was Donald Trump als künftiger US-Präsident vorhat: Inwieweit er den Kurs von Ankara absegnet und wie weit er weiterhin – wie vor ihm Obama – auf die Kurden in Nordsyrien setzt. Tut er das, dann ist der Riss zwischen Ankara und Washington in keiner Weise gekittet, sondern dürfte noch grösser werden.
Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.