Pata Rat ist einer jener Orte, von denen man kaum glauben kann, dass sie in der reichen Europäischen Union liegen. Nur ein paar Fahrminuten vom Zentrum von Cluj-Napoca, der zweitgrössten Stadt Rumäniens, mit ihrer angesehenen Universität und ihrer boomenden IT-Szene, leben hier 1500 Roma in Hütten.
Von der baumlosen Hügelkuppe aus wandert der Blick über Wiesen, die gesprenkelt sind mit Abfall, über baufällige Hütten aus Sperrholz, zwischen den Rauchsäulen von offenen Feuern hindurch bis zu zwei riesigen Abfallbergen. Kaputte Waschmaschinen, Abfallsäcke, Autoreifen – alles liegt wild durcheinander.
«Wie ein Gefangener in der Hölle»
«Es ist in der EU nicht erlaubt, Abfall unsortiert auf einer offenen Deponie abzuladen. Aber genau das tun sie dort», sagt Alexander Fechete, den hier alle nur «Pepe» nennen. Der bullige Mann mit dem schwarzen Bart und den vielen Tattoos arbeitet als Vermittler zwischen den Roma von Pata Rat und den Behörden.
Bis letztes Jahr hat er mit seiner Frau und dem heute dreijährigen Sohn auch hier gewohnt: «Es fühlte sich an wie eine Strafe Gottes, als sei ich ein Gefangener in der Hölle.»
Dazu passt der beissende Gestank, der in der Luft hängt. «Das ist noch harmlos», sagt Pepe. «Wenn sie dort drüben den Abfall auf Lastwagen laden, dann ist es hier nicht auszuhalten.»
Eigentlich gäbe es ein Recycling-Zentrum
Dabei sollten die offenen Deponien auf Pata Rat schon längst geschlossen sein. Mit Geld der Europäischen Union wurde nämlich ganz in der Nähe ein Recycling-Zentrum gebaut. Es ist schon vor Jahren fertig geworden, aber bis heute nicht in Betrieb. Fragt man nach dem Grund dafür, schieben sich Stadt, Landkreis und ein privates Entsorgungsunternehmen gegenseitig die Verantwortung zu.
In der blitzblanken Wohnküche von Elena Greta, vor der bunten Blumentapete und zwischen Spitzendeckchen, kann man kurz vergessen, dass man unmittelbar neben der grössten offenen Müllkippe Rumäniens ist.
«Wenn es draussen schon so grässlich ist, soll es wenigstens hier drin gemütlich sein», sagt die Mittvierzigerin im rosa Bademantel. Sie und ihr Mann, ein Bauarbeiter, haben hier vier Kinder grossgezogen. Die jüngsten beiden leben noch zu Hause.
Vergessen, dass sie praktisch auf einer Müllkippe wohne, könne sie jedoch nie. Der Abfall habe sie krank gemacht: «Ich habe Probleme mit dem Herzen, hohen Blutdruck und Probleme mit den Nerven.»
Zwangsumgesiedelt auf den Abfallberg
Die Gretas sind eine von 76 Roma-Familien, die bis 2010 im Zentrum von Cluj gelebt hatten und dann von einem Tag auf den anderen aus ihrer Siedlung vertrieben wurden.
«Sie kamen morgens um vier, luden unsere Sachen auf Traktoren und brachten uns nach hierher nach Pata Rat. Das war für uns alle ein grosses Trauma.» Noch heute stehen ihr die Tränen in den Augen, wenn sie davon erzählt.
Zunächst hatten die Gretas nur einen Raum bekommen, den sie auch noch mit einer anderen Familie teilen mussten. 13 Personen auf 16 Quadratmetern. Erst später konnten sie zwei Zimmer übernehmen und ein winziges drittes anbauen.
Für Greta und ihre Familie ist der Albtraum Pata Rat bald vorbei. Sie gehören zu jenen 31 Familien, die noch dieses Jahr eine Sozialwohnung in der Stadt bekommen. «Ich freue mich darauf, meinen jüngsten Söhnen ein besseres Leben bieten zu können», sagt Elena.
«Nur wer anständig wohnt, kann anständig leben»
Zu verdanken haben sie das der Organisation, für die Pepe Fekete arbeitet. Sie hat in den letzten Jahren rund sechzig Wohnungen in Cluj gekauft und stellt sie nun Familien aus Pata Rat zur Verfügung. «Unser Projekt will das Unrecht, das die Stadt den Roma angetan hat, korrigieren. Nur wer anständig wohnt, kann anständig leben», sagt Pepe.
Die Familien, die in eine der Wohnungen ziehen wollen, müssen verschiedene Bedingungen erfüllen: So muss mindestens ein Familienmitglied ein regelmässiges Einkommen haben. Und alle Kinder müssen in die Schule gehen.
Nicht alle können sich an das Stadtleben gewöhnen
Die meisten Familien in Pata Rat würden diese Bedingungen erfüllen, sagt Pepe. Aber nicht alle. Er deutet auf den Müllberg. «Dort, praktisch auf dem Abfall, leben die traditionellen Roma-Clans in Hütten ohne Wasser und ohne Strom.» Diese Familien leben schon seit Generationen dort. Viele arbeiten auch auf der Müllkippe.
Diese Leute könnten sich an ein Leben in der Stadt kaum gewöhnen, sagt Pepe. Für sie müsste man wohl auf dem Land Unterkünfte finden. Doch dafür fehlt der politische Wille und das Geld.
Das kam bislang hauptsächlich aus Norwegen. Die Stadtbehörden, die noch 2010 Dutzende Roma-Familien zwangsumgesiedelt haben, trügen zu wenig bei zur Eingliederung der Roma, heisst es bei allen Organisationen, die sich für die Roma in Pata Rat einsetzen. Dabei verspricht Emil Boc, der Bürgermeister von Cluj-Napoca, dass Pata Rat in sieben Jahren Geschichte sein soll.
Neuzuzüger hoffen auf Umsiedlung
Seine Stellvertreterin, Vizebürgermeisterin Emese Oláh, sagt: «Der Bürgermeister hat versprochen, mehr Geld für Wohnungen zur Verfügung zu stellen.» Wie viel und wann, kann sie nicht sagen. «Die Stadt bemüht sich, für die Roma Jobs zu finden, ihren Kindern Zugang zu guter Schulbildung zu ermöglichen. Das sind unsere Prioritäten.»
Für alle Bewohner von Pata Rat bis in sieben Jahren eine Lösung zu finden, ist sehr ehrgeizig. Einerseits hat man für die traditionellen Roma-Clans keine Lösung. Andererseits bleiben die Hütten auf Pata Rat nie lange leer. Sobald eine Familie wegzieht, ziehen Roma von ausserhalb ein – in der Hoffnung, dereinst auch eine Wohnung in der Stadt zu bekommen.
«Das ist ein Riesenproblem, auf das wir vorderhand keine Antwort haben. Wenn laufend neue Leute nach Pata Rat ziehen, können wir das Elend dort nicht beseitigen», sagt die Vizebürgermeisterin. Eine rechtliche Handhabe, um den Zuzug von auswärtigen Roma zu verhindern, habe die Stadt nicht.
Pepe geht davon aus, dass die Hütten der Roma-Familien von Pata Rat noch lange stehen werden. Und noch viel länger werde es gehen, bis die Schadstoffe weg sind, die hier seit Jahrzehnten in den Boden sickern. «Dieser Hügel hier wird in hundert Jahren noch nicht saniert sein.»
Geschichte ist Pata Rat wohl noch lange nicht.