Lady Ashley, ist schön, wohlriechend und verfügt über einen «üppigen Nachtrieb». So steht es jedenfalls im Prospekt. Kein Wunder, ist die Rose in Nordirland äusserst beliebt. Doch die Lady darf seit dem Brexit nicht mehr einreisen. Sie könnte mit englischer Erde kontaminiert sein. Die Hobby-Gärtner in Nordirland müssten deshalb seit Anfang Jahr auf ihre Lieblingsrose verzichten, erzählt Beth Lunney.
«Die Rosen werden in England im Freien angepflanzt, das heisst, es könnte sein, dass an ihren Wurzeln englische Erde haftet, und dies verstösst gegen die EU-Vorschriften.» Wären die Rosen dagegen in einem Treibhaus als «Nacktwurzler» auf Hochgestellen gezogen worden, würden die Dinge anders liegen, sofern der Dünger in der EU zugelassen ist. «Mit solchen Dingen müssen wir uns seit dem Brexit herumschlagen», klagt Beth Lunney. Sie versteht die Welt nicht mehr.
Seit 30 Jahren betreibt sie zusammen mit ihrem Mann ausserhalb von Belfast ein Garten-Center. Nie habe es mit Lady Ashley Probleme gegeben, und nun ein solches Debakel. Nicht nur die Rosen sind betroffen: Nicht einmal mehr profane Saatkartoffeln und Blumensamen könnten aus England importiert werden.
Das Gespräch wird kurz unterbrochen. Eine Kundin kann sich nicht entscheiden, ob sie Hortensien oder Fuchsien kaufen soll. Und der Rhododendron in ihrem Garten sei von Läusen befallen. Beth rät zum Kauf von Marienkäfern, welche die Pflanzensauger fressen werden.
Kaum bewältigbarer Papierberg
Nicht alle Probleme lassen sich so leicht verdauen. Der Papierkrieg sei seit dem Brexit unermesslich geworden, sagt die Inhaberin des Saintfield Nursery Center. Früher habe der Import von Töpfen und Pflanzen aus England zwei Tage gedauert. Heute würden teilweise 11 Tage vergehen. Gelegentlich sei sie sich nicht mehr sicher, ob sie nun Gärtnerin oder Zolldeklarantin sei. Was hier passiere, sei unerhört.
Beth's Ur-Urgrosseltern stammen ursprünglich aus Grossbritannien. Sie fühlt sich deshalb dem Vereinigten Königreich tief verbunden und ist überzeugte Unionistin. Sie hat den Verdacht, Boris Johnson habe das Nordirland-Protokoll gar nicht richtig gelesen, bevor er es unterschrieben habe.
Ich bin überzeugt, dass dies gegen meine Menschenrechte verstösst.
«Ich bin eine Bürgerin des Vereinigten Königreichs, aber ich kann keine Rosen aus Schottland, England oder Wales kaufen. Ich bin überzeugt, dass dies gegen meine Menschenrechte verstösst», sagt Beth.
Schmuggelring der Gartenfreunde
Einige Kunden hätten jedoch längst zur Selbsthilfe gegriffen. Über die Irische See haben die Gartenfreunde offenbar einen wahren Schmuggel in Gang gesetzt. Verwandte in England oder Kinder, die in London studieren, werden angewiesen, beim nächsten Besuch im Koffer zwischen den Hemden Saatkartoffeln und Blumensamen nach Hause zu bringen.
So macht es auch die ältere Kundin im geblümten Kleid, die in der Farn-Abteilung steht. «Die sollen uns unsere Rosen aus England zurückgeben.» Sie kenne die Gründe nicht, aber sie sei überzeugt, dass die Bürokraten in Brüssel daran schuld sind.
Wir wollen in unserem eigenen Land frei handeln und einkaufen können.
Sie habe für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, habe aber das Gefühl, Brüssel wolle sie nun dafür bestrafen. «Es ist das gleiche wie mit den Würsten. Doch wir wollen in unserem eigenen Land frei handeln und einkaufen können.»
Chance nutzen statt jammern
Selber schuld, meint eine junge Frau im Kakteen-Haus. Mit gutem Grund habe sie beim Brexit für remain gestimmt. Denn wenn man in der EU geblieben wäre, gäbe es mit «Lady Ashley» keine Probleme. Wenig Verständnis für das Gejammer hat auch Jerry, der mit seiner Frau Blumentöpfe einkauft. Er ist katholischer Republikaner und überzeugt, dass Nordirland sich in absehbarer Zukunft ohnehin von Grossbritannien verabschieden und sich mit der Republik Irland wiedervereinigen wird.
«Wir sollten deshalb lieber darüber nachdenken, wie Nordirland sich künftig selber mit Gütern versorgt und uns fragen, ob es nachhaltig ist, wenn wir Rosen und andere Pflanzen von England übers Meer hierher bringen», findet Jerry.
Es hält uns nichts davon ab, künftig selber Rosen zu züchten.
Sie hätten schliesslich in Nordirland das gleiche Klima und dieselben Böden. «Es hält uns also nichts davon ab, künftig selber Rosen zu züchten. Anstatt zu jammern, sollten wir das Nordirland-Protokoll als Chance sehen, mehr selber zu produzieren und weniger zu importieren.»
Bedrohung der britischen Identität
So ziehen sich die posttraumatischen Brexit-Gräben zwischen Wurmfarn und Feigenkakteen quer durch das Garten-Zentrum. Die Gräben reichen jedoch viel tiefer als die Wurzeln von «Lady Ashley». Es geht um die eigenen Wurzeln, um die eigene Identität, welche durch den Brexit und die neue Grenze in der Irischen See infrage gestellt wurden.
Die Unionisten fühlen sich durch die neue Zollgrenze vom Rest des Vereinigten Königreichs abgeschnitten. Für sie ist die Grenze eine Bedrohung ihrer britischen Identität. Die Grenze sollte dort errichtet werden, wo diese aus ihrer Sicht hingehört, nämlich zwischen Nordirland und der Republik Irland. Die Republikaner dagegen sehen sich durch das neue Grenz-Konstrukt als heimliche Sieger des Scheidungs-Dramas mit der EU.
Fragiler Frieden gerät ins Schwanken
Gleichgültig kann die Unzufriedenheit im «Hinterhof des Brexits» niemandem sein. Das Karfreitagsabkommen beendete 1998 in Nordirland einen Bürgerkrieg, der während drei Jahrzehnten über 3500 Menschenleben gekostet hat. Es war das Ende einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Protestanten, Unionisten und Loyalisten auf der einen Seite, welche die Union mit Grossbritannien unterstützen und den katholischen Nationalisten und Republikanern auf der anderen Seite, die für ein vereinigtes Irland kämpfen.
Der Bürgerkrieg ist zwar seit gut 20 Jahren zu Ende, aber die beiden Gemeinschaften sind bis heute gesellschaftlich und politisch tief gespalten. Der Frieden ein fragiles Gleichgewicht, das durch den Brexit aus der Balance gebracht wurde. Wie schnell diese kippen kann, zeigte sich im Frühling, als es in Belfast, Coleraine und Londonderry während Tagen zu Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen kam.
Um den Frieden in Nordirland zu wahren, brauche es Kompromissbereitschaft von allen Seiten, meint die Politologin Katy Hayward von der Queen’s University in Belfast gegenüber SRF. In Nordirland, aber ebenso in Brüssel und London. Die britische Regierung könne nicht stur auf ihre Souveränität beharren und jegliche Übernahme von EU-Normen strikt ablehnen. Die Europäische Union wiederum könne in der Irischen See nicht puristisch auf ihr Regelwerk beharren. Mit pragmatischen Lösungen den Frieden in Nordirland zu sichern, sein höher zu gewichten, als sich über Erdkrümel an Rosenstöcken zu streiten.
Bis London und Brüssel dieses Problem alltagstauglich gelöst haben, wird es wohl noch ein bisschen dauern. Bis dann herrscht bei der Kundschaft des Saintfield Nursery Centers wenigstens bereits in einem Punkt schon mal Konsens: Die Rosen, welche dieses Jahr ersatzweise aus den Niederlanden eingeführt wurden, sind bei weitem nicht so schön wie jene aus England.