Kensington ist ein wohlhabendes Viertel im Herzen Londons. Besonders beliebt ist es zurzeit bei jungen Russinnen und Russen, wie der Direktor einer renommierten Immobilienfirma der Zeitung «The Times» verriet: «Kürzlich habe ich einer russischen Familie ein Haus für 25 Millionen Franken verkauft. Ich dachte, die Eltern zögen nach London. Aber das Haus war für den Sohn, der hier studiert. Er ist knapp 18 Jahre alt.»
Laut dem britischen Amt für Statistik sind in London gut 85'000 Immobilien im Besitz von Ausländerinnen und Ausländern. Russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger – darunter Oligarchen, die beim Kollaps der Sowjetunion ein Vermögen verdient haben – sind dabei so zahlreich, dass einzelne Quartiere mittlerweile Übernamen wie «Londongrad» oder, wie im Falle des Eaton Square, «Roter Platz» tragen.
Der Ökonom und Antikorruptionsaktivist Roman Borosovich beschäftigt sich seit Jahren mit dem britischen Finanzplatz. Nirgendwo auf der Welt sei es einfacher Geld anzulegen als in London. Standortvorteile seien lasche Gesetze, eine hohe Dichte an Banken, Immobilienfirmen und Anwaltskanzleien. Fremdes Geld in London habe zudem eine lange Tradition.
Wie zu Zeiten des Empire
«Während der Kolonialzeit waren es Beamte, Offiziere der Krone und Aristokraten, die nach Indien oder Afrika entsandt wurden, um dort die indigene Bevölkerung auszuplündern und den Reichtum nach London zu transferieren. Auf diese Weise finanzierte sich das Empire.» Die Täter seien heute nicht mehr die Briten, sondern ausländische Kleptokraten.
Geld fliesst aus fremden Ländern nach London und niemand stellt Fragen.
Aber das Prinzip sei noch dasselbe: «Geld fliesst aus fremden Ländern nach London und niemand stellt Fragen.» Dieses Geschäftsmodell wird längst nicht nur von Aktivisten wie Borosovich kritisiert. Eine Untersuchung der aussenpolitischen Kommission des Unterhauses kam schon vor vier Jahren zum Schluss, dass Banker und Immobilienhändler zu wenig Fragen stellen, wenn sie russisches Geld entgegennehmen.
Die Kommission empfahl strengere Gesetze und ein Grundeigentümerregister. Passiert sei bis heute nichts, sagte Labour-Schattenaussenminister David Lammy kürzlich gegenüber ausländischen Journalisten. «Es ist wichtig, dass wir gegen russische Aggression im Ausland einstehen. Aber ebenso wichtig ist, dass wir uns mit der russischen Expansion in unserem eigenen Land auseinandersetzen.»
London droht, zum Waschsalon der Welt für schmutziges Geld zu werden.
Mit einem Immobilienmarkt, der zunehmend in der Hand von Kleptokraten sei, drohe London zum «Waschsalon der Welt für schmutziges Geld» zu werden. Selbst US-Präsident Joe Biden zweifle daran, dass sich Sanktionen gegen das Putin-Regime umsetzen liessen, solange London toleriere, dass russisches Geld nach Grossbritannien geschwemmt werde, so Lammy.
Gesetz lässt auf sich warten
Ein Gesetzesentwurf, der ausländische Investoren zwingen würde, ihre Vermögensverhältnisse und Geldflüsse offenzulegen, steckt seit Jahren im Getriebe der Regierungsmaschinerie fest. Wie will die Regierung Sanktionen umsetzen und Oligarchen mit Kreml-Verbindungen abstrafen, wenn deren Finanzen weitgehend verborgen bleiben?
Von der BBC mit dieser Frage konfrontiert, meinte Aussenministerin Liz Truss: «Freiheit und Demokratie sind wichtiger als kurzfristige wirtschaftliche Gewinne. Deshalb wollen wir unsere Gesetzgebung zur Bekämpfung der illegalen Finanzierung verbessern und wir werden weiterhin prüfen, was noch getan werden kann.» Was das genau heisst, was geprüft wird und wie lange noch geprüft wird, liess Truss trotz mehrfachem Nachfragen erst einmal offen.