28'000 Soldatinnen und Soldaten aus 26 Ländern nahmen in der ersten Jahreshälfte an den «Defender»-Manövern der Nato teil. In Osteuropa war der Schwerpunkt – insgesamt reichten sie jedoch von Nordamerika bis Spanien, vom Baltikum bis ans Schwarze Meer. Es ging primär darum, die schnelle Verlegung von Streitkräften zu üben, von den USA nach Europa und innerhalb Europas – bisher eine Schwäche der Nato.
Manöver sind das A und O des Soldatendaseins. Im Grunde gilt: Entweder sind Soldaten im Ernstfalleinsatz – oder sie sind am Üben für diesen Einsatz. Für die Nato, die aus einem Potpourri von zweieinhalb Dutzend nationalen Streitkräften besteht, ist das erst recht unverzichtbar. Dabei betont die Allianz stets den defensiven Charakter ihrer Manöver. Genau dasselbe tut nun auch Russland zu Beginn von «Zapad-2021». Diese Übungen fallen diesmal noch deutlich umfangreicher aus als jene der Nato.
Gegenseitiges Misstrauen
Das Problem: Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen Ost und West glauben beide Seiten einander nicht. Zumal alle wissen: Wer sich wirksam verteidigen kann, ist gewappnet für Gegenschläge des Feindes, könnte es sich also eher erlauben, diesen anzugreifen.
In manchen Nato-Mitgliedsländern wie Polen oder in den baltischen Staaten fürchtet man spätestens seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim ernsthaft einen Einmarsch aus dem Osten. In Moskau wiederum rechnet man zwar nicht unmittelbar mit einer Nato-Invasion, ärgert sich jedoch enorm über die Osterweiterung der Nato, nachdem seit Jahren immer mehr osteuropäische Länder dem westlichen Militärbündnis beitreten.
Das tiefe Misstrauen führt hüben und drüben zu Beschuldigungen. Im Frühjahr wurde aus Moskau verbal scharf geschossen gegen «Defender», jetzt tun das vor allem osteuropäische Regierungen gegen «Zapad». Am Nato-Hauptsitz in Brüssel wiederum wird vor allem kritisiert, Russland agiere bei seinen Manövern intransparent. Hier haben die Nato-Verantwortlichen einen Punkt.
Mehr Transparenz verlangt
Zwar lädt Moskau punktuell Beobachter ein zu einzelnen Teilübungen. Doch das sogenannte «Wiener Dokument» der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE verlangt unmissverständlich, dass Beobachter aus jedem Mitgliedstaat zu praktisch den gesamten Manövern Zugang haben müssen. Die Nato-Staaten halten sich daran – und respektieren damit die Transparenzregeln.
Das ist keine Petitesse, erst recht nicht angesichts des aktuell ohnehin starken Spannungsverhältnisses zwischen Russland und dem Westen. Das wechselseitige Misstrauen ist naturgemäss umso grösser, je geringer die Transparenz ist. Doch selbst bei voller Transparenz ist es unvermeidlich, dass die neuerdings immer umfangreicheren Manöver beidseits für heftige Irritation sorgen und den Ost-West-Konflikt jeweils kräftig befeuern.