Wie prekär ist die Ausgangslage? In St. Petersburg kommt es am Freitag zum EM-Viertelfinal zwischen der Schweiz und Spanien. Ausgerechnet jetzt, da Russland rekordhohe Coronazahlen vermeldet. Alleine in der 5-Millionen-Stadt St. Petersburg wurden am Dienstag knapp 1400 Neuinfektionen und 119 Tote registriert. Das ist kein gutes Vorzeichen für das EM-Spiel am Freitag.
Zudem muss man laut SRF-Russland-Korrespondent David Nauer davon ausgehen, dass die Zahl der Infizierten in Wirklichkeit noch sehr viel höher ist. «Die Spitäler in St. Petersburg stehen bereits unter enormem Druck. Es gibt Berichte von Ambulanzen, die stundenlang Schlange stehen, um Patienten einzuliefern. Und es gibt Berichte über Patienten, die auf dem Boden des Spitalkorridors liegen mussten, weil es keine freien Betten gab.»
Wie ist die Stimmung in der Stadt? St. Petersburg ist gerade im Sommer eine sehr lebensfrohe Stadt. Es wird in Restaurants gefeiert. Die Leute sind unterwegs, es wird auch schnell einmal eng in den Strassen der historischen Altstadt. So sei es auch jetzt, sagt Nauer: «Ich war an einem Musikfestival mit mehreren 1000 Besucherinnen und Besuchern. Eine Maske getragen hat so gut wie niemand. Es war, als gäbe es Corona nicht.» Die Menschen seien sorglos, fröhlich gewesen – «man könnte auch sagen, verantwortungslos».
Welche Vorkehrungen werden getroffen? Im Stadion selber darf nach jetzigem Stand nur jeder zweite Platz besetzt werden. Zudem herrscht Maskenpflicht. Dass diese tatsächlich durchgesetzt wird, bezweifelt Nauer. «Meine Erfahrung in Russland ist, dass man solche Pflichten eher lasch sieht.» Ansonsten gebe es in St. Petersburg nur wenige Einschränkungen. Restaurants und Bars seien offen. «Es gibt auch eine zentrale Fanzone, wo sich mehrere 1000 Fans versammeln können, um das Spiel zu verfolgen.»
Wieso reagiert die Stadt nicht schärfer? Die schönen Bilder, die es gibt von diesen Spielen, sollen nicht durch rigide Covid-Massnahmen getrübt werden. Das zeige auch ein Blick in die Vergangenheit, so der Korrespondent: «Für den russischen Staat sind grosse Sportereignisse sehr, sehr wichtig für das Prestige. Diese EM-Spiele haben eben auch diese Funktion. Es soll ein Fussballfest geben, einen PR-Erfolg. Den will man sich nicht nehmen lassen.»
Noch etwas sei bezeichnend, so Nauer: «Dass in russischen Medien mit einer gewissen Selbstverständlichkeit darüber diskutiert wird, dass nach dem letzten Spiel am Freitag in St. Petersburg wohl sehr harsche Massnahmen eingeführt werden sollen, aber eben nicht, solange noch gespielt wird.»