Was haben sie nicht alles diskutiert: ob Gott in die neue Verfassung soll, die Höhe der Renten oder der Mindestlohn.
Das war alles nur eine grosse Maskerade, wie sich jetzt herausstellt. Bei der russischen Verfassungsreform geht es nur darum, dass Wladimir Putin bleiben kann, wo er ist: an der Macht.
Dank Rochade an der Macht
Eigentlich müsste er 2024 abtreten, weil die bisherige Verfassung mehr als zwei Amtszeiten für Präsidenten verbietet. Dieses Verbot hat Putin schon einmal umgangen, als er mit Premierminister Dimitri Medwedew für vier Jahre den Platz tauschte, um dann erneut Staatschef zu werden.
Nochmal so eine Rochade wollte der Kreml vermeiden. Deswegen dachten sich Putins Politstrategen die «Spezialoperation Verfassung» aus. Die Idee dahinter: Nach Lesart des Kreml wird mit einer neuen Verfassung die Zahl der Amtszeiten quasi auf null gestellt. Putin dürfe nochmal antreten als Präsident, weil seine bisherige Präsidentschaft unter der alten Verfassung gestanden habe.
Ein politischer Taschenspielertrick – der wohl Realität wird. Um dem Ganzen einen einigermassen demokratischen Anstrich zu geben, war es nicht Putin, der die faktische Aufhebung der Amtszeitbeschränkung forderte. Das übernahm in der Duma eine Parlamentarierin der Regierungspartei «Einiges Russland».
Besonders kurios: Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin erklärte, der Vorschlag müsse umgehend besprochen werden – mit Putin. Der tauchte kurz darauf im Parlament auf und sagte, er sei generell für den Vorschlag, das Verfassungsgericht müsse ihn aber noch auf seine Rechtmässigkeit prüfen.
Systematischer Machterhalt
Das alles sieht nach einem abgekarteten Spiel aus. Das Parlament hat umgehend für den Vorschlag gestimmt. Und die obersten Richter werden sich dem Willen des Präsidenten auch nicht entgegenstellen.
Auch die Volksabstimmung über die neue Verfassung, die am 22. April stattfinden soll, dürfte eine reine Formalität sein. In einem Land, in dem die Opposition seit Jahren systematisch unterdrückt wird, können keine fairen Abstimmungskämpfe stattfinden.
Wladimir Putin ist vor rund 20 Jahren an die Macht gekommen. Er hat viel Energie darauf verwendet, seine politischen Gegner kleinzuhalten. Inzwischen ist das ganze Land auf ihn ausgerichtet: Er kontrolliert nicht nur die Politik, sondern auch den Sicherheitsapparat und weite Teile der Wirtschaft.
Gut für Putin, gut für Russland?
Gewissermassen ist er ein Gefangener seines eigenen Systems. Selbst wenn er wollte, könnte Putin nicht einfach gehen. Er hat ein Russland aufgebaut, in dem es keine unabhängigen Institute mehr gibt. Parlament, Parteien, Gerichte – sie alle hängen vom Willen des Präsidenten ab. Wenn er wegfällt, droht Chaos. Also muss er bleiben. Ganz nebenbei garantiert er so auch noch seine persönliche Sicherheit. Denn so lange er an der Macht ist, bleibt er unantastbar für seine Gegner.
Was gut ist für Putin, ist allerdings nicht unbedingt gut für Russland. Jetzt schon hat man das Gefühl, dass das Land in einer Stagnation steckt. Die Wirtschaft kommt kaum vom Fleck, politisch und gesellschaftlich schottet sich Russland zusehends ab.
Ein Machtwechsel würde neue Ideen bringen, frischen Wind. Dazu wird es wohl nicht kommen. Nach dem heutigen Parlamentsbeschluss kann Wladimir Putin noch 16 Jahre weiterregieren.