Diese Woche hat die Führung der pro-russischen Donezk-Region 40 ukrainische Firmen unter ihre Kontrolle gebracht. Diese Firmen, die bisher Steuern nach Kiew zahlten, würden nun zwangsverwaltet, hiess es von den Separatisten. Ausgelöst wurde dieser Wirtschaftskrieg durch blockierte Bahngeleise. Seit einigen Wochen kommen deshalb unter anderem keine Kohlelieferungen mehr in die Westukraine.
SRF News: Wer sind diese Blockierer?
David Nauer: Ehemalige Frontsoldaten und zum Teil auch Leute, die in Freiwilligen-Bataillonen gegen die Separatisten gekämpft haben. Dazu kommen radikale ukrainisch-nationalistische Extremisten. Es sind nicht marginale oder isolierte Figuren: Sie haben auch Unterstützung von nationalistischen Abgeordneten im Parlament in Kiew. Sie sind ziemlich gut vernetzt.
Was wollen sie erreichen? Was sind ihre Argumente?
Ihr Schlachtruf ist: «Wir machen keine Geschäfte mit den Besatzern.» Sie betrachten die Separatisten als reine Marionetten Moskaus, die man nicht auch noch mit ukrainischem Geld finanzieren soll. Der Zorn der Blockierer richtet sich aber auch gegen die eigene Elite in Kiew. Sie sagen, es gebe sehr einflussreiche Leute auf der ukrainischen Seite, die vom Schmuggel über die Front profitierten. Das sei auch einer der Gründe, weshalb der Krieg immer weiter andauere.
Es droht ein ernsthafter Stromengpass im Land.
Was bedeuten die Blockaden für die ukrainische Wirtschaft?
Die Folgen könnten langfristig verheerend sein. Experten schätzen, dass die ukrainische Wirtschaft Milliarden von Dollar verlieren könnte. Zehntausenden Menschen drohe Arbeitslosigkeit. Das Hauptproblem: Die Ukraine ist auf Kohle aus den Separatistengebieten angewiesen, um Strom zu produzieren. Im Moment haben die Elektrizitätswerke noch ausreichend Vorräte. Aber in wenigen Wochen könnten diese aufgebraucht sein. Dann droht ein sehr ernsthafter Stromengpass im Land.
Die ukrainische Regierung in Kiew ist damit in einem Dilemma – es sind ja eigentlich «eigene» Leute, die hier den Handel mit dem Feind blockieren...
Sie ist in einer schwierigen Lage. Diese Blockade gewaltsam aufzulösen, wäre ziemlich riskant. Diese Blockierer sind recht radikal und wissen, wie man mit Waffen umgeht. Es gibt zu Recht die Befürchtung, dass es zu sehr wüsten, blutigen Kämpfen kommen könnte. Gleichzeitig droht aber dieser enorme wirtschaftliche Schaden. Deshalb gibt es nun vermehrt auch Stimmen in Kiew, die sagen, «wir müssen diese Blockade räumen, notfalls mit Gewalt». Das ist sinnbildlich für das ganze Land. Man weiss einfach nicht, wie man mit den Separatisten umgehen soll.
Moskau kann zuschauen, wie die Ukrainer aufeinander losgehen und sich zerfleischen.
Wie hängt dieser wirtschaftliche Aspekt des Konflikts mit dem militärisch-politischen zusammen?
Die Blockade zeigt wie ein Brennglas auf den Kern des Konflikts. Es gibt in der Ukraine relativ starke Kräfte, die das umkämpfte Gebiet, den Donbass, am liebsten abstossen möchten. Diese denken, mit einer totalen Blockade sei das Problem gelöst. Andere Kräfte wiederum sagen, das sei sehr kurzsichtig. Denn die Infrastruktur des besetzten Teils der Ukraine ist eng mit dem Rest des Landes verbunden. Zudem leben in den Gebieten auch ukrainische Staatsbürger, die nichts für diesen Konflikt können. Die Regierung in Kiew weiss das alles, und fährt eine Art Mittelweg. Sie führt einerseits Krieg gegen die Separatisten, versucht aber trotzdem, einen einigermassen pragmatischen Umgang in wirtschaftlichen Fragen zu finden. Am meisten profitiert davon Russland. Der Kreml hat mit seiner militärischen Unterstützung die Separatisten in die Lage gebracht, Gebiete zu erobern. Nun kann Moskau zuschauen, wie die Ukrainer aufeinander losgehen und sich zerfleischen.
Das Gespräch führte Tina Herren.