Nach wochenlangen Spekulationen über eine russische Intervention in Syrien macht Kremlchef Putin ernst. Kampfjets bombardieren erste Ziele. Gilt der Einsatz wirklich nur dem Kampf gegen den Islamischen Staat - oder will Moskau seinen Partner Assad an der Macht halten?
So schätzen Korrespondenten und Experten die Lage ein:
Kriegsreporter Kurt Pelda: «In der bombardierten Region ist kein IS, sondern da sind gemässigte bis islamistische Rebellen. Diese kämpfen gegen Assad und haben ihm schwere Niederlagen bereitet. Das ist der Grund, warum die Russen nun dort bombardieren.
Die Angriffe nützen Assad, aber sie nützen indirekt auch dem IS. Denn wenn man diese Rebellen, die auch Feinde des IS sind, bombardiert, wie dies nun passiert, dann stärkt man so auch die Terrormiliz.»
Reinhard Schulze, Syrien-Experte und Islamwissenschafter: «Gestärkt durch die Angriffe wird das Assad-Regime selbst. Denn: Das Assad-Regime bekommt eine Anerkennung, dass ein grosser internationaler Player auf seine Bitte nach Militärhilfe reagiert hat. Damit tritt Syrien wieder auf die internationale Bühne. Syrien und somit Assad wird somit als Partner möglicher Verhandlungen annerkenungsfähig.
Für die Region bedeutet die neue Situation eine Verstärkung der Blockbildung. Das heisst: Syrien wird als Teil eine Blockes identifiziert mit Russland als Schutzmacht. Dagegen stehen Saudi-Arabien, Katar oder die Golfstaaten. Die hätten klar gemacht: Entweder Assad geht, oder es gibt Krieg. Die Fronten im Gebiet werden also durch diese Blockbildungen verhärtet.»
Erich Gysling, Nahost-Experte: «Man darf annehmen und darauf vertrauen, dass die Akteure Russland sowie die USA und Frankreich im Gebiet einigermassen Kontakt haben und sich koordinieren. Da kann man sagen, dass in erster Linie alle das gleiche Ziel haben, nämlich im weitesten Sinne die Bekämpfung des IS.
Wie immer stehen aber auch strategische Überlegungen hinter den Angriffen. Neben der Angst vor islamistisschem Terror, pocht Russland mit der Stärkung Assads natürlich auf die Stärkung ihrer Stützpunkte wie in Tartus oder Lathakia zum Beispiel. Sie wollen dort weiterhin präsent bleiben»
SRF-Korrespondent Christof Franzen, Moskau: «Die Ziele Putins in seinem Konflikt in der Ukraine waren klarer. Er wollte verhindern, dass die Ukraine der Nato beitritt und sich der EU zuwendet. Ähnlich zum Konflikt in Syrien ist die Mischung zwischen Waffengewalt und Diplomatie. Auch wenn die Waffengewalt gegen die Ukraine verdeckt stattgefunden hat.
Es zeigt sich, dass Putin ein gewiefter Taktiker ist, der das gute Gefühl hat für den richtigen Moment. Seine strategischen Ziele aber sind in Syrien, im Gegensatz zum Ukraine-Konflikt, schwer zu verstehen.»
SRF-Korrespondent Pascal Weber, Beirut: «Assad ist immer mehr in Bedrängnis geraten. Wenn wir das strategisch anschauen, dann ist Assad in seinem Kerngebiet an der Mittelmeerküste entlang in Gefahr.
Die Anti-Assad-Truppen werden dabei von der Türkei unterstützt. Und weil die Türkei immer noch eine No-Fly-Zone befürwortet, musste Russland befürchten, dass eine solche ad hoc eingesetzt werden könnte. Eine Flugverbotszone hatte in Libyen bereits die Rebellen unterstützt und letztlich Gaddafi gestürzt. Ein solches Szenario fürchtet Russland möglicherweise und ist darum eingeschritten. Ausserdem hatte Assad bereits im Sommer in Interviews gesagt, dass seine Kräfte schwinden, um das ganze Land zu beherrschen.»