«Das Sandwich für den Abend und die Palatschinken für den Morgen. Pileći bataci i palačinke, molim!» Der Kubaner Vladimir Castillo spricht serbisch mit spanischem Akzent – und das in einem Vorort von Belgrad. Er kauft die Essensration für die nächsten 24 Stunden. Ein Sandwich mit Poulet-Keulen und Palatschinken: Er müsse sein Geld einteilen: «Ich bin Asylbewerber. Finanzielle Hilfe gibt es nicht.»
Doch alles ist besser als der real existierende Sozialismus in Kuba. Bald, nachdem das Regime 2013 die Reisebestimmungen gelockert hatte, machte sich Castillo auf den Weg. Zum ersten Mal seit der Revolution 1956 konnten Kubaner ohne Bewilligung ausreisen.
Asylgesuch in Serbien
Doch für die meisten Länder im Westen gelten hohe Visaschranken. So buchte Castillo, ein Künstler aus Salvador de Calì, ein Ticket mit Aeroflot über Moskau nach Belgrad. Für die ehemals sozialistische Welt brauchen Kubaner bloss einen gültigen Pass.
Weil er legal nicht weiterreisen konnte, stellte Vladimir Castillo ein Gesuch um politisches Asyl in Serbien, dem grössten der jugoslawischen Nachfolgestaaten: «Als Kind haben wir von Jugoslawien geträumt.» Partisanenpräsident Tito war ein Star auf Kuba, liess Wohnsiedlungen bauen. Jugoslawische Fachkräfte unterstützten Fidel Castros Revolution.
In Kuba ist die Zeit eingefroren, alles ist unter Kontrolle des Staates.
Aus dieser Zeit stammt wohl auch der Spruch «en Cuba nema ništa». Dieses spanisch-serbische Mischmasch heisst «in Kuba gibt es nichts.» Doch heute kämpfen auch die Serben mit Existenzsorgen. Das Land ist seit den späten 1980er Jahren selbst in der Krise. Noch immer zieht es viele in den Westen. Castillo dagegen will bleiben: «Serbien ist vielleicht ökonomisch nicht top, aber die Herzlichkeit kompensiert dies.»
Zeichnen mit Flüchtlingskindern
Castillo geriet 2015 mitten in die Flüchtlingskrise. Hunderttausende versuchten, aus dem Nahen Osten über die Balkanroute nach Westeuropa zu gelangen. Castillo strandete mit einer Handvoll anderer Kubaner im Erstaufnahmezentrum von Preševo im Süden Serbiens. Er und seine Landsleute waren Exoten unter den gestrandeten Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien oder Iran.
Vladimir Castillo begann mit den Kindern zu zeichnen, brachte Farbe in den grauen Alltag zwischen Containern und Zelten. Die Kinder erzählten ihm ihre Träume und Geschichten. Er versuchte sie künstlerisch zu verarbeiten: «Du musst einfach zuhören, um zu verstehen, was Migrantenkinder brauchen.» Serbische Medien haben Castillos Werk publiziert. Seine Collagen sind Dokumente einer brüchigen, verzweifelten Zeit.
Serbische Herzlichkeit für einen Gestrandeten
Unterdessen fand Castillo Unterschlupf bei einer Familie in Batajnica bei Belgrad. Hier hat er ein kleines Atelier im Keller. Die Gastfamilie hat in den 1990er-Jahren Krieg und Flucht im zerfallenden Jugoslawien selber hautnah erlebt: «Wir wissen genau, was er durchmacht.» So sei es selbstverständlich, dass sie Vladimir trotz engem Budget unterstützten.
In Kuba ist kein Krieg, das Klima angenehmer als auf dem Balkan. Er vermisse seine Mutter, die Geschwister und seine zwei erwachsenen Kinder. Doch er will nicht zurück: «In Kuba ist die Zeit eingefroren, alles ist unter Kontrolle des Staates.» Immer wieder habe er ernsthafte Schwierigkeiten wegen seiner Kunst gehabt. Die geistige Zensur habe in an den Rand der Existenz gebracht. So habe er sein Haus verkauft und versuche jetzt sein Glück im Exil in Serbien.