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Muslime beten in Mekka.
Legende: «Saudi-Arabien versteht sich als sunnitische Führungsmacht, alle anderen sind ungläubig.» Keystone

International «Saudi-Arabien verhält sich punkto Terrorismus schizophren»

Der Golfstaat ist eine der reichsten und mächtigsten Nationen im arabischen Raum. Von hier aus nahm der islamistische Terror mit 9/11 den Anfang. Das Land trägt als Heimat der Wahabiten noch immer jene ideologische DNA, die für den intoleranten, frauenfeindlichen und dschihadistischen Islam steht.

SRF News: Saudi-Arabien gibt Rätsel auf: Einerseits gilt das Land als Brutstätte des islamischen Extremismus, andererseits als Vorkämpfer gegen eben diesen. Was gilt nun?

Fredy Gsteiger

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Portrait von Fredy Gsteiger

Der diplomatische Korrespondent ist stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St.Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» und Chefredaktor der «Weltwoche».

Fredy Gsteiger: Beides. Saudi-Arabien hat zum einen seit Jahrzehnten eine radikale und intolerante Interpretation des Islam gefördert. Es hat die eigene Bevölkerung indoktriniert und Milliarden ausgegeben, um Moscheen und Koranschulen zu bauen, nicht nur im eigenen Land, auch im Ausland. Zum andern hat aber Saudi-Arabien seit einiger Zeit gemerkt, dass man eine Art ideologische Giftschlange herangezüchtet hat. Eine Schlange, die das saudische Königshaus nun selber bekämpft. Insgesamt kann man sagen, ist das Land gespalten, es verhält sich in der Frage des Terrorismus schizophren.

Früher floss viel saudisches Geld von staatsnahen Personen und Institutionen in die Kassen von Terrororganisationen. Ist das immer noch so?

Nach 9/11 hat Saudi-Arabien gemerkt, dass es selber Opfer des Terrorismus wird. Es hat im Golfstaat eine ganze Reihe von Anschlägen gegeben. Darum glaube ich nicht, dass heute staatliches Geld aus dem Land fliesst, weder zu Al Kaida noch zum IS. Aber es gibt viele Hinweise darauf, dass Wohltätigkeitsinstitutionen sowie viele Privatpersonen, die teilweise mit dem Königshaus liiert sind, nach wie vor Gelder an etwa die Al-Nusra-Front oder den IS zahlen.

Wie wichtig ist dieses Geld für den IS?

Man vermutet, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Einnahmen des IS aus Spenden von aussen kommen. Der IS würde heute also nicht zusammenbrechen, wenn dieses Geld nicht mehr flösse. Die Terrororganisation nimmt auch Geld mit Steuern, Schmuggel, Öl oder Erpressung ein.

Einzelne reiche Saudis haben immer noch ernsthaft das Gefühl, man müsse die Terroristen stärken?

Saudi-Arabien versteht sich als sunnitische Führungsmacht, alle anderen sind ungläubig. Gegen die muss man vorgehen, vor allem gegen die Schiiten im Iran, die politischen und militärischen Erzrivalen.

Die Bedrohung des IS ist für Saudi-Arabien aber grösser als jene der Schiiten.

Der Iran ist – nüchtern betrachtet – tatsächlich das falsche Feindbild. Saudi-Arabien hat ein Problem mit seinen Rückkehrern, mehr noch als europäische Länder, denn in Syrien kämpfen mehr Saudis als etwa Briten, Franzosen oder Belgier. Darum wird es jetzt interessant sein zu sehen, ob im Kampf gegen den IS eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran stattfindet. An der Syrienkonferenz letzte Woche in Wien sassen zumindest beide Länder mal an einen Tisch. Es könnte eine Entkrampfung, vielleicht sogar eine Zusammenarbeit entstehen.

Warum gehen die Saudis nicht konsequenter gegen den IS, oder zumindest gegen extremistisches Gedankengut vor?

Das ist historisch bedingt. Es gibt seit der Existenz von Saudi-Arabien die unheilige Allianz zwischen dem saudischen Königshaus und den Wahabiten, der radikalen sunnitischen Sekte. Dank dieser Allianz konnte das Haus Saud die Macht auf der Golfhalbinsel übernehmen. Dafür dürfen die Wahabiten den religiösen Ton im Land angeben. Bis jetzt hat schlicht kein saudischer König gewagt, diese Allianz aufzubrechen, denn die Wahabiten sind sehr einflussreich.

Wie festigt die Sekte ihre Macht im Land?

Sie geben ihre Lehre flächendeckend weiter, in Schulen, in Moscheen, Universitäten. Ein grosser der Teil dieser saudischen Institutionen vertritt eine intolerante Form des Islam. Manche dieser Kleriker predigen sogar den Dschihad. Sie machen das übrigens nicht nur in Saudi-Arabien selber, sondern auch im Ausland, in Indonesien, Malaysia, Teilen von Afrika und sogar in Europa. Auch in der Schweiz gibt es diese intoleranten Moscheen. Natürlich sind nicht alle von Saudi-Arabien indoktriniert, aber doch viele sind vom Land beeinflusst und erhalten von dort auch Geld.

Es ist demnach ausgeschlossen, dass sich das Königshaus von den Wahabiten trennt?

Es müsste zumindest auf eine tolerantere Auslegung des Islam pochen und auf Distanz gehen. Das hätte wohl zunächst eine destabilisierende Wirkung. Ich glaube aber, dass die Herrscher da nicht drum herum kommen, wenn sie die Macht behalten wollen. Das Königshaus sitzt nicht so sicher im Sattel, wie es selber meint und wie das mancher ausländische Beobachter meint. Es gibt immer mehr gut ausgebildete Junge in Saudi-Arabien und auch immer mehr Arbeitslose. Der Unmut wächst. Es ist möglich, dass auch dieses Land plötzlich einen arabischen Frühling erfährt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Königshaus dies begriffen hat.

Der Westen fasst Saudi-Arabien mit Samthandschuhen an. Ist da etwas dran?

Saudi-Arabien wird tatsächlich geschont. Die Rüstungsindustrie in den USA und Europa verkauft Saudi-Arabien viele Waffen. Zudem ist der Golfstaat generell wegen seines Reichtums grundsätzlich ein wirtschaftlich wichtiger Partner. In vielen westlichen Hauptstädten gilt das Land zudem als Anker der Stabilität in einer instabilen Region. Man will überdies nicht, dass der Iran im Nahen Osten zu mächtig ist. Der Westen will Saudi-Arabien als Gegengewicht.

Das Gespräch führte Christa Gall, in Zusammenarbeit mit Susanne Brunner.

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