Der «Islamische Staat» steht unter Druck, er hat viele, mächtige Feinde. Das räumt Mohammad-Mahmoud Ould Mohamedou ein: Die grosse Mehrheit der arabischen Mächte, dazu Iran, die schiitische Hisbollah, die kurdischen Peschmerga, ausserdem die USA, Russland, Frankreich – sie alle kämpfen gegen den IS.
Trotz dieser gegnerischen Phalanx behaupte sich der IS im Irak und in Syrien bemerkenswert. Er erleide zwar da und dort Niederlagen, erobere aber weiterhin ganze Städte, sagt Mohamedou.
Kontrolle, Verwaltung, Einnahmen
Die Islamisten hätten eine enorme Widerstandskraft entwickelt. Die IS-Führung sei zu einer echten Regierung geworden, die es schaffe, ein Territorium, grösser als manches europäische Land, zu verwalten und zu kontrollieren. Selbst finanziell habe die Führung die Lage im Griff. «Sie haben es geschafft, grosse Einnahmen zu generieren.»
Dabei stützt sich der IS auf eine Vielzahl von Quellen: Steuern, Spenden von fundamentalistischen Golfarabern, Öleinnahmen, Schmuggel und manches mehr. Diese Diversifizierung macht die Milizen weniger verwundbar. Man müsse sich, so Professor Mohamedou, vom Irrglauben verabschieden, es handle sich hier um einen Haufen verrückter Fanatiker.
Stärker als es Al Kaida jemals war
Der IS sei heute stärker und besser organisiert als es Al Kaida je war – und selbst bei Al Kaida habe es mehr als zwanzig Jahre gedauert, bis das Netzwerk in die Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt wurde.
Das Geheimnis bestehe beim IS darin, zum einen über zu allem entschlossene junge Radikale zu verfügen, zum andern über hochprofessionelle Militärführer und Administratoren aus dem Apparat des früheren irakischen Diktators Saddam Hussein.
Einziges Ziel des IS ist die Macht
Weil diese Ex-Saddam-Leute mit islamischem Fundamentalismus nichts am Hut haben, sei es, so Mohamedou, falsch, im IS primär eine religiöse Organisation zu sehen. Natürlich seien die Terrormilizen durch den sunnitischen Islam geprägt, hauptsächlich aber instrumentalisierten sie die Religion bloss. Ihr wahres Ziel sei einzig die Macht.
Und über Macht gebiete der IS gleich in mehrfacher Weise: Erstens habe er sein Territorium überraschend gut im Griff. Zweitens rekrutiere er, weil Erfolg Menschen anzieht, immer mehr ausländische Kämpfer. Inzwischen geht man von 30'000 Anhängern aus hundert Ländern aus, die für den IS kämpfen. Tausende von ihnen stammen aus dem Westen.
Terror in die Welt exportieren
Drittens schlössen sich immer mehr Terrorbewegungen quasi als Filialen dem IS an: Boko Haram in Nigeria, Gruppierungen im Sinai, im Jemen, in Libyen, in Afghanistan. Und viertens schliesslich schienen die Dschihadisten, wenn die bisher bekannten Untersuchungsergebnisse zuträfen, nun den Terror ins Ausland zu exportieren.
Bei vielen Terroranschlägen der letzten Zeit bestünden Verbindungen zum IS: Beim Anschlag auf einen Hotelstrand in Tunesien, beim Abschuss des russischen Ferienfliegers über dem Sinai, in Beirut, jetzt in Paris. Da könne man kaum, wie manche es täten, von einer geschwächten Organisation sprechen.
Kein schnelles Rezept gegen den IS
Für Mohamedou fehlt vorläufig ein rasch wirkendes Rezept gegen den IS. Es seien militärische Schritte nötig, polizeiliche und geheimdienstliche Anstrengungen, mehr internationale Kooperation ohnehin. Alles könne einen Beitrag leisten, aber vermutlich werde nichts zum schnellen Untergang des IS führen, so sehr man das hoffe.
Am ehesten würde eine Implosion wirken, die Ermordung des obersten Führers Abu Bakr al-Baghdadi. Er könnte die Kontrolle verlieren. Oder interne Flügelkämpfe könnten ausbrechen. Doch niemand wisse, ob und wann das passiere. Zwar sei bisher noch jede Terrororganisation wieder von der Bildfläche verschwunden.
Letztlich könnten Terrorbewegungen weder ihren Anhängern noch den Unterjochten das bieten, was sie sich wünschten: Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und wohl auch ein bisschen Freiheit. Aber vorläufig spricht für Mohamedou einiges dafür, dass die Welt den IS noch längere Zeit erdulden muss.