Mit sorgenvoller Miene blicken Umweltschützer derzeit an die Nordsee: Während eines Sturms hat ein Frachtschiff 270 Container verloren. Seit gestern wird auf niederländischen Nordsee-Inseln Treibgut angespült – auch Container mit gefährlichen Stoffen sind darunter.
Derzeit patrouillieren Sicherheitsleute auf Ameland, einer der niederländischen Watteninseln. Sie sollen sicherstellen, dass sich niemand an der giftigen Fracht zu schaffen macht. Die Sorge ist berechtigt: Wie Bilder auf den sozialen Medien belegen, ist ein regelrechter Run auf das Treibgut ausgebrochen, das fortwährend angeschwemmt wird.
Eigentlich steht das Treibgut dem «Strandvogt» zu, also dem Bürgermeister der jeweiligen Insel. Er sei verpflichtet, den rechtmässigen Eigner auszumachen und dem Finder einen angemessenen Finderlohn zu geben, berichtet SRF-Korrespondentin Elsbeth Gugger in Amsterdam.
Dieses Prozedere sei allerdings «graue Theorie». Gugger hat auf ihren Reisen viele der sogenannten «Strandjutter» getroffen, und liefert Einblicke in eine ganz eigene Welt.
Mehr als die halbe Bevölkerung der fünf niederländischen Watteninseln gehöre zur Gattung Strandgutsammler. Diese haben ganz eigene Wege entwickelt, um das Treibgut am Strandvogt vorbei zu schleusen: «Ein echter Strandjutter legt seine Beute in Dünen und holt sie nachts, wenn ihn niemand sieht, zu sich nachhause», sagt Gugger.
Am Finderlohn seien die wenigsten interessiert. Sichtbar werde das bereits bei einem Blick in die Wohnzimmer vieler Inselbewohner: «Es gibt Menschen, die haben ihr halbes Haus mit Strandgut gefüllt.» Auch das Juttermuseum zeigt anschaulich, was so alles angespült wird: Von Kleidern über Medikamente und Münzen findet sich dort auch ein ganzes Arsenal an Flaschenpost.
Immerhin: Mit ihren Sammelaktionen tun die Strandjutter auch etwas für die Umwelt. Die Bürgermeister der Inseln seien heilfroh über die Aufräumarbeiten der Strandgutsammler: «Sie haben die Bevölkerung nun sogar dazu aufgerufen, zu helfen.» Denn neben der giftigen Fracht belasten auch die Unmengen an Verpackungsmaterial die Umwelt. So droht sich Plastik und Styropor aus den Containern in den Dünen festzusetzen.