Journalist zu sein, das ist in Russland schon lange ein gefährlicher Beruf. Nun aber geht der Kreml noch perfider gegen kritische Medien vor. Mehrere Medienschaffende sind in den letzten Wochen vom Staat zu «ausländischen Agenten» erklärt worden. Ziel dieses «Etiketts»: Es soll das Leben so sehr erschweren, dass die Leute mit ihrer Arbeit aufhören – oder gleich auswandern.
Olga Tschurakowa ist eine der Betroffenen: «Ich sass in einem Café und habe gearbeitet. Plötzlich kamen Eilmeldungen rein, dass unser Medium verboten wird – und dass wir persönlich zu 'ausländischen Agenten' erklärt wurden.»
Ein Schock sei das gewesen, so die 32-jährige Tschurakowa. Sie ist Vollblutjournalistin, hat für die Wirtschaftszeitung «Vedomosti» geschrieben, stand für den Nachrichtensender «Doschd» vor der Kamera. Zuletzt recherchierte Tschurakova für das Investigativ-Portal «Projekt». «Wir haben über Putin und seine Familie geschrieben, über Korruption und auch über die Geheimdienste», erzählt Tschurakowa.
Ich musste alle meine Artikel löschen, die ich in den vergangenen Jahren geschrieben habe. Meine ganze Arbeit musste verschwinden.
Ihre Mitarbeit beim «Projekt» war es, was den Zorn des Kreml weckte. Das Internet-Medium scheut sich auch vor ganz heissen Themen nicht. So berichtete «Projekt» etwa über eine mutmassliche ehemalige Geliebte von Wladimir Putin, die auf unerklärliche Weise zu sagenhaftem Reichtum gekommen ist.
In anderen Ländern würden Journalistinnen wie Tschurakova mit Medienpreisen überhäuft. In Russland werden sie vom Staat gebrandmarkt, zu «ausländischen Agenten» erklärt. «Ich musste alle meine Artikel löschen, die ich in den vergangenen Jahren geschrieben habe. Meine ganze Arbeit musste verschwinden. Das hat weh getan.»
«Ausländische Agenten» müssen alle Ausgaben auflisten
Der Status «Ausländischer Agent» wurde ursprünglich Organisationen verliehen, die Geld aus dem Ausland erhalten – kritischen Medien oder NGOs zum Beispiel. Doch nun können auch Personen mit dem staatlich verliehenen «Schandmal» versehen werden. Rund zwei Dutzend betroffene Journalisten gibt es bereits. Die Folgen sind dramatisch.
Es ist eine erniedrigende Prozedur.
Sie müsse bei jedem Text, den sie veröffentliche, einen Hinweis anbringen, dass sie «ausländische Agentin» sei, sagt Tschurakowa. Selbst, wenn sie auf Instagram ein Ferienfoto poste. Aber damit nicht genug: Darüber hinaus sei sie verpflichtet, gegenüber den Behörden sämtliche Ausgaben zu dokumentieren. Einkäufe im Supermarkt, ein neues Sommerkleid, ein Bier in einer Bar – Tschurakowa muss dem Staat quasi eine persönliche Buchhaltung abliefern. «Es ist eine erniedrigende Prozedur», sagt sie.
Schikane soll Menschen das Leben erschweren
Mehrere Kollegen aus «Projekt» haben Russland inzwischen verlassen. Olga Tschurakova bleibt vorerst – auch wenn sie Mühe hat, eine neue Arbeit zu finden. Sie spüre, dass in der Medienbranche Angst herrsche, jemanden wie sie einzustellen.
Der Status «ausländischer Agent» ist eine staatliche Schikane, die den Betroffenen das Leben so schwer wie möglich machen soll. Das Etikett soll ausgrenzen, es soll unliebsame Bürgerinnen und Bürger zu Feinden abstempeln.
Flucht ins Ausland mögliches Szenario
«Ich aber werde so schnell nicht klein beigeben», sagt Olga Tschurakowa. Zusammen mit einer Kollegin macht sie einen Podcast, in dem die beiden von ihrem neuen Leben erzählen. «Hallo, ich bin ausländische Agentin», heisst das Projekt.
Wie lange das so weiter geht, ist unklar. Sie glaube nicht, dass der Staat sie künftig in Ruhe lassen werde, sagt die Journalistin. Die Repressionsmaschine laufe bereits – die sei schwer zu stoppen. Vielleicht müsse sie dann doch irgendwann ins Ausland. «Denn», sagt Olga Tschurakowa, «ins Gefängnis will ich nicht.»