Doktor Eron hält das Huhn in seiner Hand, während er eine Rassel schüttelt und lange Verse spricht. Am Boden liegen Federn, Knochen, leere Schnapsflaschen. Zehn Minuten dauert das Ritual, dann schneidet der Heiler dem Huhn die Kehle durch und lässt das Blut über den Schrein tropfen.
Die Kundin wünscht sich Glück und Gesundheit. Mit solchen Ritualen verdient der «Native Doctor» seit 25 Jahren sein Geld. Und über die Jahre hat vor allem ein Ritual einen Grossteil seines Einkommens ausgemacht: Er hat junge Frauen mit einem Fluch belegt. «Bevor die Mädchen sich auf ihre Reise machten, mussten sie einen Schwur abgeben», sagt Doktor Eron.
«Wenn sie ihre Schulden nicht zurückzahlen, dann werden sie sterben oder verrückt», so der traditionelle Heiler. Tausende Nigerianerinnen landen jedes Jahr in der Prostitution im Ausland. Meist in Italien, aber auch Russland oder Dubai. Sie werden von Menschenhändlerinnen, welche die Mädchen in Nigeria auftreiben, ins Ausland vermittelt. Meistens im Migrationshub Benin City.
Patience Agboneni war noch bis vor Kurzem eine der Menschenhändlerinnen und war einst selbst als Prostituierte in Italien. Danach hatte sie junge Frauen dorthin vermittelt. Auch sie hat ihre Mädchen jeweils vor der Abreise zum «Native Doctor» gebracht. Es habe stets genützt: «Sie haben immer bezahlt. Die Angst vor dem Fluch war so gross, dass sie es nicht wagten, abzuhauen.»
Der Glaube an Schwarze Magie ist in Benin City und in ganz Edo State, der Region im Süden von Nigeria, tief verwurzelt. So tief, dass die Prostituierten Summen bis zu 36'000 Euro über Jahre in Raten an ihre «Madams» zurückbezahlten. Doch das sei nun vorbei: «Ich fürchte mich vor dem Fluch unseres Oba, denn nach Gott kommt direkt unser Oba. Er ist sehr mächtig.»
Der Oba von Edo State, der traditionelle Führer der Region, ist sich seines Status' bewusst. Und er weiss um den Glauben an die Schwarze Magie seiner Bevölkerung. Bevor er 2016 das Amt übernahm, hatte der Ökonom für die UNO gearbeitet. Danach war er Botschafter in Schweden und Italien.
Vor einem Jahr lud er alle traditionellen Heiler in seinen Palast und liess von den mächtigsten unter ihnen ein Ritual durchführen. Er befreite die Prostituierten fern der Heimat somit vom Fluch und legte im Gegenzug einen Fluch auf all jene, die es wagen sollten, sich an Menschenhandel zu beteiligen.
Solomon Okodua arbeitet für die regionale Task Force gegen Menschenhandel. Die Regierung sei der Meinung, dass Obas Ritual genützt habe, sagt er: «Der Menschenhandel hat abgenommen. Wir hören von zurückkomenden Frauen, dass sie sich aus der Schuldenfalle lösen konnten.»
Auch würde die Task Force weniger Telefonanrufe von Frauen erhalten, die auf dem Weg nach Europa, Russland oder Dubai feststecken würden. Und Beamte am Flughafen bestätigten, dass weniger junge Frauen, welche nicht den Anschein machten, wie wenn sie das Geld und einen Grund hätten, um Ferien in den betreffenden Destinationen zu machen, am Flughafen auftauchten.
Nach wie vor brechen Frauen in die Prostitution auf. Doch die Angst vor der Schwarzen Magie scheint als Gegenmittel zu wirken – zur Freude nicht ganz aller. Denn dem traditionellen Heiler Doktor Eron reisst die Politik des Oba ein Loch in die Kasse. Aber: «Ich würde es nie wagen, wieder Rituale durchzuführen, die Menschenhandel unterstützen», sagt er. «Ich will nicht sterben, auch wenn ich kein Geld habe.»