Die am Samstag eskalierte Gewalt im Sudan zwischen der Armee und den paramilitärischen Einheiten der «Rapid Support Forces» (dt. «schnelle Eingreiftruppe) dauert an. Bereits wurden fast 100 Zivilisten getötet. Was steckt hinter dem Konflikt? Afrika-Experte Gerrit Kurtz beantwortet die wichtigsten Fragen und ordnet ein.
SRF News: Wer sind die «Rapid Support Forces»?
Gerrit Kurtz: Dabei handelt es sich um eine paramilitärische Einheit, die 2013 – noch unter dem damaligen Herrscher – Omar al-Bashir mit zwei Hauptzwecken gegründet wurde. Einerseits sollte sie die Rebellion im Westen, in Darfur, bekämpfen. Andererseits etablierte sie der Langzeitmachthaber als explizite Gegenkraft zur Armee und dem Geheimdienst, um sich vor einem Putsch zu sichern.
Vor zwei Jahren haben die RSF noch gemeinsam mit der Armee geputscht und die Macht im Sudan übernommen. Was hat jetzt zum Zerwürfnis geführt?
Die Zusammenarbeit war vor allem taktischer Natur. Beide wollten ihre Pfründe sichern. Jetzt, wo die RSF unter der Führung von Mohammed Hamdan Dagalo Macht abgeben sollten, wurde es kompliziert. Es herrschte keine Einigkeit darüber, wie die RFS in die Armee integriert werden sollten. Die RSF wollten eine möglichst lange Übergangszeit von mindestens zehn Jahren; während die Armee eine Integration in zwei Jahren vorsah. In den letzten Tagen hat sich der Konflikt zwischen den beiden Gruppierungen verschärft.
Was war der Auslöser für den jüngsten Ausbruch der Gewalt?
Bereits am Donnerstag war es offensichtlich zu einer Eskalation gekommen. Die Armee warf den RSF vor, ohne ihr Einverständnis Truppen in den Norden und in die Hauptstadt Khartum verlegt zu haben. Am Samstag ist der Konflikt dann in Gewalt umgeschlagen. Wer den ersten Schuss abgegeben hat, ist nicht klar, beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig. Die Gewalt ist das Ergebnis einer Eskalationsspirale, in der der eine dem anderen letztendlich zuvorkommen wollte.
Wie gross ist die Gefahr, dass der Konflikt zwischen Armee und Paramilitärs in einem längeren Bürgerkrieg mündet?
Zurzeit muss man noch vorsichtig sein mit dem Wort Bürgerkrieg. Es ist entscheidend, was in den nächsten Tagen passiert – konkret: wie sich die Konfliktparteien verhalten und welche Optionen ihnen die internationale Gemeinschaft geben wird. Aber in der Tat gibt es bereits Kämpfe im Westen, im Zentrum und im Osten des Landes. Die Gefahr eines Bürgerkrieges ist also gross.
In diesen Tagen hätte eigentlich der Vertrag unterschrieben werden sollen, mit dem auch Zivilisten an der Regierung hätten beteiligt werden sollen. Rückt eine zivile, demokratische Regierung im Sudan nun in weite Ferne?
Absolut. Jetzt, wo die Waffen sprechen, haben die zivilen Parteien wenig anzubieten. Sie haben es bislang nicht geschafft, die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte herzustellen. Letztendlich ist eine zivile Regierung zwar der einzige Ausweg aus dieser Situation. Doch ich befürchte, dass die beiden Konfliktparteien ihr Glück weiterhin in der Waffengewalt suchen werden.
Am Samstag kursierten Bilder von ägyptischen Soldaten, die im Norden Sudans von den RSF festgehalten wurden. Droht sogar eine regionale Eskalation mit dem Nachbarland Ägypten?
Sudan nimmt eine zentrale Stellung am Horn von Afrika ein. Eine grössere Auseinandersetzung innerhalb des Landes kann sich also auf die Region ausweiten. Ägypten hat ein starkes Interesse am Sudan und ist traditionell mit der Armee verbündet. Noch beobachtet Kairo die Lage aber.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.