Bei ihrem Besuch in Polen hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die nationalkonservative Regierung Szydlo zur Wahrung der Rechte der Opposition, Justiz, Gewerkschaften und Medien aufgerufen. Polens Regierungschefin Beata Szydlo ihrerseits forderte Veränderungen in der EU.
Politiker in Deutschland hatten Merkel vor dem Besuch aufgerufen, Demokratieverstösse der polnischen Regierung zu kritisieren. Merkel erinnerte darum in Warschau in einer persönlichen Erklärung an ihr Leben in der DDR ohne unabhängige Justiz sowie die damalige Hoffnung auf die Freiheitsbewegung im sozialistischen Polen durch die Gewerkschaft Solidarnosc.
Engere Beziehungen
Beim Besuch warb Merkel bei Ministerpräsidentin Szydlo trotz bestehender Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis für engere Beziehungen. Szydlo versicherte ihr: «Wir werden sehr eng zusammenarbeiten.»
Szydlo forderte aber, es müsse «Veränderungen in der EU» geben. «Brexit ist ein Faktum.» Die EU müsse sich entwickeln, «aber bei voller Bewahrung der autonomen Rechte der Mitglieder». Zur künftigen EU-Politik stelle Szydlo fest, Polen sei es wichtig, dass gerade die nationalen Parlamente gestärkt würden und es eine gleichberechtigte Behandlung der EU-Mitgliedstaaten gebe.
Polens Regierung steht in der EU in der Kritik, weil neue Gesetze gemäss Kritikern das Verfassungsgericht und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle bringen wollen.
Einigkeit bei Sanktionen gegen Russland
Einig waren sich Szydlo und Merkel im Umgang mit Russland im Ukraine-Konflikt. Solange es keine Fortschritte gebe, müssten die Sanktionen gegen Moskau aufrecht erhalten werden. Die Sanktionen könnten nur gelockert werden, wenn es Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Friedensabkommens gebe, sagte Merkel.
Szydlo kritisierte im Zusammenhang mit Russland aber scharf die geplante Ostseepipeline Nord Stream 2. Russlands Energiekonzern Gazprom will eine Erdgasleitung in der Ostsee bauen, durch die russisches Erdgas nach Deutschland transportiert werden sollen. Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine fühlen sich umgangen und befürchten eine wachsende Abhängigkeit von Russland.
Unklare Zukunft von Donald Tusk
Auch die politische Zukunft des polnischen EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk in Brüssel ist Szydlo zufolge noch nicht geklärt. «Dies hänge mit der Zukunft Europas und den anstehenden Reformen zusammen.» Tusk möchte nach zwei Jahren als EU-Ratsvorsitzender gerne im Amt bleiben. Er gilt als Merkel-Vertrauter. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS von Szydlo ist aber gegen eine Wiederwahl des früheren polnischen Ministerpräsidenten.
Treffen mit Opposition
Merkel sprach in Warschau nicht nur mit Regierungschefin Szydlo und Präsident Andrzej Duda. Sie traf auch die graue Eminenz der polnischen Politik, Jaroslaw Kaczynski, Chef der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei, sowie Vertretern der Oppositionsparteien und der deutschen Minderheit in Polen.