«Sehen sie auf der linken Strassenseite die Strassentafel und rechts die Bienenstöcke», sagt Elia Itin während im Hintergrund der Funk läuft. «Wenn wir da durchgefahren sind, wissen wir, dass wir in der 10-Kilometer-Zone angekommen sind».
Ausschau halten nach Bienenstöcken. Dieses Bild beschreibt die UNO-Friedensmission hier auf dem Golan treffend: In einer scheinbar friedlichen Landschaft Details erkennen.
Der Schweizer Major und UNO-Militärbeobachter Elia Itin kennt das Gelände auf der israelischen Seite des Golan gut. Er weiss auch ganz genau, was in dieser Zone militärisch erlaubt ist – gemäss Waffenstillstandsabkommen von 1974 zwischen Israel und Syrien. Elia Itin zählt auf: «6000 Soldaten, 75 Kampfpanzer und 36 Artilleriegeschütze mit einem Kaliber von bis zu 122 Millimetern».
Soldaten und Panzer sind auf der Fahrt zu einem der UNO-Beobachtungsposten (OP) keine zu sehen. Nur grasende Kühe und Obstfelder. Die Idylle täuscht. Wer genau hinschaut, erkennt da einen Waffenplatz, dort eine Stellung.
Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Fahrzeug der israelischen Streitkräfte auf und hupt: Ausweiskontrolle. Major Elia Itin steigt aus, grüsst auf Hebräisch – «Shalom» – und redet kurz mit den Soldaten. Dann geht die Fahrt weiter.
Als Verbindungsoffizier zwischen der UNO-Mission und den israelischen Streitkräften ist er geübt im diplomatischen Kontakt mit beiden Seiten. Alle zwei Wochen führen die Militärbeobachter Inspektionen durch. Sie zählen Soldaten, Panzer und Artilleriegeschütz. Auf ihren täglichen Patrouillen halten sie Ausschau nach Verstössen gegen das Waffenstillstandsabkommen.
Ich selbst habe auch schon Verstösse gesehen und weitergeleitet.
«Ich selbst habe auch schon Verstösse gesehen und weitergeleitet», sagt Elia Itin. Was für Verstösse, das darf er nicht sagen.
Der Krieg in Syrien erschwert die Arbeit
Gemäss Abkommen müssen Israel und Syrien den Waffenstillstand alle sechs Monate neu ratifizieren. Das machen beide – trotz Bürgerkrieg in Syrien, der die UNO zwang, auf der israelischen Seite einen Beobachtungsposten, auf der der syrischen Seite gleich alle zu schliessen. 2014 entführten Kämpfer der al-Nusra-Front in der Pufferzone 45 Blauhelme. Zwei Wochen später kamen sie zwar wieder frei. Aber Bemühungen um die Rückkehr aller Militärbeobachter auf ihre Posten haben erst kürzlich wieder begonnen.
Major Elia Itin meldet sich per Funk beim Beobachtungsposten OP 51 an. Die grasenden Kühe auf den Weiden sind verschwunden. Stattdessen: Panzerruinen. Und rote Warntafeln im hohen Gras. Minenfelder. «Diese Minenfelder kommen bis an den Strassenrand, der aus Kies und Schotter ist», erklärt Itin. «Im Winter, wenn die Strasse nass und rutschig ist, dann braucht es nicht viel, und man rutscht mit dem Fahrzeug in ein Minenfeld.»
Die schmale Strasse führt hinauf zu einem kleinen, weissen Betonbau. Auf dem Dach die blaue UNO-Flagge. Der Wind zerfetzt sie fast.
Internationale Zusammenarbeit auf kleinstem Raum
OP 51 heisst dieser Beobachtungsposten der UNTSO. Drei bis vier Offiziere aus verschiedenen Ländern wohnen jeweils eine Woche am Stück hier – auf engstem Raum: es gibt hier zwei kleine Schlafräume, eine Küche, Dusche/WC, einen Raum mit ein paar improvisierten Fitnessgeräten, und einen Luftschutzkeller.
Hauptmann Corneliu Gall stellt das Team vor, das gerade auf Posten ist: «Momentan haben wir hier Niklaus aus Australien, Junior aus Bhutan und Pablo aus Chile», sagt Gall.
Im Kontrollturm pfeift der Wind durch die Fensterritzen. Von hier aus sieht man die Pufferzone, dahinter Syrien. Dienst im Kontrollturm hat immer einer alleine. Man wechselt sich im Schichtbetrieb ab.
Der 32-jährige Corneliu Gall ist seit zwei Monaten auf dem Golan im Dienst. Kurz davor war hier noch Bürgerkrieg: Die Offiziere, die schon länger hier sind, mussten fast jede Nacht im Luftschutzkeller übernachten. Das musste der Westschweizer Milizoffizier Gall bisher noch nie.
Ich war 15 Minuten auf dem Posten und hörte bereits die erste Explosion.
Erschrocken ist er aber bereits während seiner ersten Schicht. «Ich war 15 Minuten da und hörte bereits die erste Explosion», erzählt er, während der Wind pfeift.
Explosionen gibt es immer wieder. Entweder, wenn die syrische Armee Minen räumt. Oder wenn ein Tier durch ein Minenfeld läuft. «Man sieht und hört ab und zu Wildschweine, die auf die Minen treten. In Deckung geht man dann nicht, aber man rapportiert es», so Gall.
Bilder, die sich einprägen
Wie Corneliu Gall, ist auch der Luzerner Marco Billia Hauptmann und seit zwei Monaten hier im Dienst. Krieg kannte er vorher vor allem aus Nachrichten-Apps und Push-Meldungen.
Was er hier sieht, geht ihm nahe. «Man sieht durch das Fernrohr die Personen auf der anderen Seite. Dieses Bild von verschiedenen Parteien, die aufeinander losgehen, diesen Menschen – dieses Bild prägt sich ein und gibt zu denken», sagt Billia. Kinder, die zur Schule gehen. Manchmal Zivilisten, die – verbotenerweise – die Waffenstillstandslinie überqueren. UNO-Fahrzeuge am erst kürzlich wieder eröffneten Kuneitra-Übergang zwischen Israel und Syrien. All das sehen die Militärbeobachter, wenn sie mit ihren Feldstechern nach Syrien schauen.
Mit Überzeugung bei der Arbeit
Und dann, plötzlich: Fahrzeuge, die nicht in die Pufferzone gehören. Major Elia Itin bestätigt: «Jetzt haben wir etwas in unserem Beobachtungssektor gesehen, das ungewöhnlich ist.» Die Beobachtung eines möglichen Verstosses gegen das Waffenstillstandsabkommen muss immer von zwei Offizieren unterschiedlicher Nationalität bestätigt werden. Erst dann gibt es einen Rapport, der an den UNO-Hauptsitz in New York geht.
Trotzdem wird oft kritisiert, dass die UNO im Falle von Verstössen nichts macht oder machen kann.
Wenn wir hier sind, und Präsenz markieren, dann ist das für die beteiligten Parteien schon ein wichtiges Hindernis, um irgendwelche Aktionen zu starten.
Die drei Schweizer, die an diesem Tag auf dem Golan Dienst leisten, sind trotzdem überzeugt, dass sie mithelfen, einen Krieg wie 1973 zwischen Israel und Syrien zu verhindern. «Wenn wir hier sind, und Präsenz markieren, dann ist das für die beteiligten Parteien schon ein wichtiges Hindernis, um irgendwelche Aktionen zu starten. Es schaut jemand hin», sagt Hauptmann Marco Billia. Er lädt seine Splitterschutzweste ins Auto für die nächste Patrouille, und Major Elia Itin meldet sich per Funk ab.