Niemand würde Lauri Burns ansehen, was sie durchgemacht hat. Ein Pflegekind, misshandelt und sexuell ausgebeutet, hatte sie als junge Frau den Tiefpunkt erreicht. Doch sie schaffte es, ihr Leben zu wenden. Seither ist es ihre Mission, andere Kinder zu retten.
«Dieses Heim ist einzigartig», sagt sie und zeigt mit Stolz das Anwesen von «Vera's Sanctuary» in einem Vorort von Los Angeles, das sie über ihre Hilfsorganisation «The Teen Project» führt. Hier finden Mädchen und junge Frauen, die sexuell ausgebeutet wurden, Unterschlupf. «Viele haben all ihre Träume aufgegeben. Hier haben sie die Chance auf ein neues Leben, auf eine Ausbildung, die sie sich wünschen.»
Epstein ist kein Einzelfall
Der Skandal um Jeffrey Epstein hat viele schockiert – doch er ist kein Einzelfall. Nach wie vor werden tausende Mädchen in den USA sexuell ausgebeutet.
Wie Sarah. Sie wurde mit 17 Jahren über Wochen vergewaltigt von einem Freund der Familie und anderen Männern. Bei Lauri Burns findet sie eine sichere Unterkunft, Therapie, Ausbildung. Es gibt auch gespendete Kleider für Vorstellungstermine.
Zuhälter bauen zuerst Vertrauen auf
Sarah war von zu Hause weggelaufen – was ihr Ausbeuter ausnutzte. «Ich war auf der Strasse. Er hat mich abgeholt und mir Essen gegeben oder ich konnte bei ihm duschen. Er brachte mich zurück. Mit der Zeit habe ich ihm immer mehr vertraut, dass er sich um mich kümmern würde. Eines Tages hat er mich mitgenommen und nicht mehr gehen lassen.»
Ein verletzliches Kind in Not – Vertrauen aufbauen – Manipulation. Das ist die typische Methode, wie jedes Jahr tausende Kinder in den USA sexuell ausgebeutet werden.
Opfer oft aus schwierigen Verhältnissen
So auch im Fall Jeffrey Epstein. Er war Zuhälter und Freier zugleich. Seine damalige Freundin, Ghislaine Maxwell, mutmassliche Helferin. Ihre Opfer: oft aus zerrütteten Familien, weggelaufen, bereits missbraucht. Maxwell und Epstein versprachen den Mädchen ein besseres Leben, Ausbildung, eine Modelkarriere oder schlicht Zuwendung.
Epstein war ungewöhnlich reich und verkehrte in der High Society. Doch seine Strategien sind typisch für viele andere Ausbeuter in den USA.
Zuhälter sind Meister der Manipulation
Auch Wendy Barnes geriet als Teenager in die Fänge eines Ausbeuters. Heute lebt sie in einem Vorort von Los Angeles. Die Geschichte jeder Ausbeutung ist anders – doch die Strategie dahinter oft ähnlich wie bei Epstein. «Ausbeuter sind enorm gut im Manipulieren. Herauszufinden, welche Taktik funktioniert, ist für sie zentral - und bei welchem Opfer, denn wir sind nicht alle gleich.» Zuhälter sind oft Meister darin.
Bei Wendy Barnes geht es um vorgegaukelte Liebe: Wendy Barnes verliebt sich mit 15 in einen 16-Jährigen. Sie bekommen ein Kind. Wendy Barnes' Freund nutzt ihre Schwächen aus: Eine zerrüttete Familie, sie war bereits sexuell missbraucht worden, in der Schule gemobbt. Er macht sie mit Manipulation, Drohungen und Schuldgefühlen über Jahre zu seiner Prostituierten und schliesslich zu seiner Helferin, nutzt das gemeinsame Kind als Druckmittel. Der Freund wird zum Zuhälter.
Mädchen als Helferinnen
«Der Kopf im Sexring lässt die Jüngeren die dreckige Arbeit machen. Mein Zuhälter sagte mir, fahr los und bring Geld. Da bin ich, eine 25-jährige Frau mit 14-jährigen Mädchen auf dem Rücksitz. Und wir gehen anschaffen.»
Das Schlimmste war für mich, wenn mein Zuhälter die anderen Mädchen schlug, um mich zu bestrafen.
Heute weiss Barnes: Es ist eine typische Strategie von Zuhältern, um nicht von der Polizei erwischt zu werden – und gleichzeitig Schuldgefühle bei den Opfern zu wecken. «Das Schlimmste war für mich, wenn mein Zuhälter die anderen Mädchen schlug, um mich zu bestrafen.»
Auch in der Nähe von Disneyland ging Wendy Barnes auf den Strich. Sie wurde schliesslich verhaftet und wegen Beihilfe verurteilt. Heute sagt sie, die Festnahme war ihre Rettung. Über ihre Erfahrungen hat sie ein Buch geschrieben. Und sie bildet Angestellte einer Spitalkette darin aus, Opfer von sexueller Ausbeutung zu erkennen.
«Es war eine komplette Gehirnwäsche»
«Opfer schreien nicht um Hilfe, weil die Linien so verschwimmen. Ich dachte manchmal, es war meine Wahl. Es war eine komplette Gehirnwäsche von ihm und wie eine Art Kult», sagt Barnes.
Der Skandal um Epstein habe das Bewusstsein in der Gesellschaft erhöht, wie subtil sexuelle Ausbeutung funktioniere. Doch das Problem sei nach wie vor akut, so Barnes. «Es gibt immer noch viele Netzwerke für sexuelle Ausbeutung. Auf hoher Ebene, auf niedriger Ebene.»
Opfer werden nicht erkannt
Auch Epstein und Maxwell brachten ihre Opfer dazu, neue Mädchen zu rekrutieren, so erzählen es einige ihrer mutmasslichen Opfer, die an die Öffentlichkeit gingen. Schuldgefühle und Drohungen schüchterten die Mädchen ein. Epstein kam zunächst mit einem vorteilhaften Vergleich davon, die Opfer wurden im Rechtsverfahren übergangen. Eine verkehrte Welt von Opfern und Tätern.
Und nach wie vor fehlt das Bewusstsein in der Gesellschaft, bei Polizei und Spitalangestellten, sagt Lauri Burns.
«Die Leute sehen nicht wirklich, was diesem Kind geschehen ist. Sie glauben, dass sie es freiwillig tun.» Lauri Burns sagt, missbrauchte Kinder und junge Frauen, die in die Prostitution gezogen würden, würden oft nicht als Opfer wahrgenommen. Und sie warnt: Heute würden Jugendliche oft über soziale Medien kontaktiert und in sexuelle Ausbeutung hineingezogen.
Für Sarah bedeutet das Heim Sicherheit und auch Stärke. «Ich bin zusammen mit all den Frauen, denen Schlimmes passiert ist. Aber sie sind hier, stehen es durch und rappeln sich auf. Das stärkt mich sehr. Dass ich wie sie sein kann.»
Lauri Burns und Sarah wurden durch ihre Peiniger beinahe umgebracht. Heute wollen sie andere vor ihrem Schicksal bewahren.